Beim Spaziergang im Voralpenland taucht, hinter einer Wegbiegung, in der Ferne ein Schwedenhaus auf: rot-weißer Holzbau, Veranda, Bullerbü-Flair. Sehr hübsch und heimelig, aber irgendwie ein Fremdkörper in der hiesigen Landschaft. „Alles ist Kopie“, sagte die Architektin Zaha Hadid – aber auch wenn die Inspiration durch andere Bauwerke zu jeder Architektur gehört, kann sie damit kaum gemeint haben, ohne Rücksicht auf das jeweilige Landschaftsbild, auf regionale Traditionen und Ressourcen zu planen und zu bauen.
In China hat man wenig Bedenken, jedes erdenkliche Produkt (billig) zu kopieren, ob Designklassiker, Sneaker und Smartphones oder auch ganze Bauwerke wie den Eiffelturm, die Golden Gate Bridge, britische Townhouses oder gar ein komplettes österreichisches Dorf. Auf uns wirkt die Fake-Architektur häufig befremdlich, dabei sind auch hierzulande Kopien keine Seltenheit. So findet man toskanische Villen im Schwarzwald, Lüftlmalerei in der Uckermark oder Fachwerkhäuser ohne Bezug zur lokalen Bautradition.
Als Antwort darauf sind in den letzten Jahren europaweit zahlreiche Initiativen, Stiftungen und Netzwerke entstanden, deren erklärtes Ziel es ist, regionale Baukultur(en) zu stärken und durch eine regionale Architekturpolitik ein Bewusstsein für deren Bedeutung zu schaffen. Dabei bezieht sich der Begriff „regionale Baukultur“ nicht nur auf das Bauen von Objekten an sich, sondern versteht sich als erweiterter Kulturbegriff und bezieht auch die ortsbezogene Geschichte und lokale Traditionen mit ein. Zum „guten“ Bauen gehört eben mehr als „nur“ die vor Ort vorhandenen Ressourcen zu nutzen: Die Architektur sollte sich auch auf die jeweilige Landschaft beziehen und traditionelle Bauweisen berücksichtigen.
Regionaltypische Bauten setzen in unserer durch immer rascheren Wandel und eine sich rasant entwickelnde Mobilität geprägten Zeit einen willkommenen Kontrapunkt zur fortschreitenden Globalisierung. Denn das beinahe unbeschränkte Reisen sowie der weltweite Warenverkehr haben dazu geführt, dass Baustile aus aller Welt an den unpassendsten Orten nachgeahmt werden und dadurch regionale Besonderheiten zunehmend verschwinden, sich Architekturen einander angleichen und austauschbar werden. Begünstigt wird diese Entwicklung nicht nur durch die Begehrlichkeiten, die auf Reisen geweckt werden, sondern insbesondere auch dadurch, dass an beinahe jedem Ort der Welt jedes erdenkliche Material beschafft werden kann. Dadurch sind selbst nachhaltig geplante Häuser letztlich das Gegenteil von dem, was sie anstreben, wenn die verbauten Natursteine und -hölzer aus Übersee kommen.
Um die regionale Vielfalt zu erhalten und charakteristische Baukulturen zu schaffen, müssen sich Gebäude – oder auch ein Design – an ihren jeweiligen Kontext anpassen. Es geht um ein harmonisches Zusammenspiel von Tradition und Moderne und um das Herausarbeiten lokaler Identität, ohne dabei in eine klischeehafte Formensprache zu verfallen. Glücklicherweise gibt es immer mehr Architekt:innen, die sich dem regional typischen und dabei qualitativ hochwertigen Bauen verschrieben haben und mit einheimischen Materialien wie lokalem Holz- und Steinvorkommen oder Schafwolle arbeiten. Die ortstypische Bauweise bietet dabei die Grundlage für eine zeitgenössische Neuinterpretation – Architekturpreise mit lokalem Bezug fördern genau diese Herangehensweise. Gelungene Beispiele findet man zum Beispiel in Regionen wie Vorarlberg, Südtirol oder im Schwarzwald. Einen charmanten Ansatz bietet auch das italienische „Albergo Diffuso“, bei dem die Unterkünfte, die Rezeption und das Restaurant einer Herberge über die gesamte Ortschaft verstreut liegen – in kleinen Gebäuden, die sich wie selbstverständlich in das regionaltypische Stadtbild einfügen.
Gerade der Tourismus profitiert von der Rückbesinnung auf das Regionaltypische, denn: Wer möchte schon nach Umbrien reisen und sich in einer finnischen Blockhütte mit Sauna wiederfinden – oder umgekehrt. Neben einer unverwechselbaren Landschaft und Natur vermittelt eine gewachsene, ortstypische Architektur die Authentizität, den Charme und die Abwechslung, die wir (fast) alle auf Reisen suchen. Dabei gibt es wunderbare Domizile, die eine regionaltypische Bauweise harmonisch mit modernen Bauelementen und Designklassikern verbinden. Ich mag die Schlichtheit und Geradlinigkeit sowie die Materialität des skandinavischen Designs sehr – genauso wie mich die traditionellen Handwerkstechniken aus Lateinamerika sowie die Farbgebung von afrikanischen Stoffen faszinieren. Ein Stilmix ist wunderbar – im Innenraum. Aber ein Schwedenhaus im bayerischen Hinterland wirkt auf mich etwas deplatziert – ein Architekturzitat am falschen Ort.
Text: Tina Barankay, Januar 2022
Autoreninfo: Tina Barankay verbindet ihre Leidenschaft für Ästhetik und Gestaltung seit vielen Jahren mit ihrer beruflichen Tätigkeit. Als freie Journalistin und Beraterin veröffentlicht sie Beiträge, realisiert Publikationen und entwirft Kommunikationskonzepte in den Bereichen Architektur, Interior und Design.
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