Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Was will man im Urlaub eigentlich? Sich erholen, Bücher lesen, das Wohnzimmer streichen? Nein, in unseren friedlichen Zeiten liebt man den Nervenkitzel. Da nicht jeder auf eigene Faust durch Grönland oder die Sahara trampen kann, gibt es zahllose Angebote, sich mit Booten, Boards oder Bikes „auf abenteuerlichen Routen“ durchzukämpfen!
Was ein Blödsinn! Wenn ich mit meinen Eltern in unser Ferienhaus fuhr, war das noch ein echtes Abenteuer. Die letzten Kilometer führten durch einen dichten Wald, dann erreichte man das abgelegene Haus, musste Schlösser und Riegel öffnen, Gitter entfernen, Sicherungen ausschalten – ein Indiz, dass man sich vom behüteten Leben entfernt hatte. Die Kaminscheite lagerten in einer separaten Holzhütte, und wenn es spät war, musste man sie im Stockfinstern heranschleppen. Im Wald knackte es dann unheimlich, ein Käuzchen rief, und die Bäume raunten und rauschten als schwarze Wedel im Mondlicht. Manchmal kamen Wildschweine bis auf das Nachbargrundstück, dort hatte ein Bauer nach dem Krieg Kartoffeln und Gemüse angepflanzt, wovon noch ein wild wucherndes Geschling übrig geblieben war. Es sollte auch streunende Hunde geben, sagten die Eltern, und in den Forsthäusern der Umgebung sei immer wieder eingebrochen worden.
Mein Vater besaß darum eine Pistole – für alle Fälle. Zum Glück war es nie zum Nahkampf gekommen. Aber einmal im Jahr musste er mit seinem Schießeisen üben. Dazu platzierte er eine Zeitung in der verkrauteten Wildschweinwiese, nahm ein paar Meter davor Aufstellung, während Mutter und ich in sicherer Entfernung blieben und uns die Ohren zuhielten. Die größte Sorge war, dass die Pistole nach hinten losgehen könnte, das sollte es schon gegeben haben.
Deshalb zielte Vater mit ausgestrecktem Arm auf die Zeitung, krümmte sich wie ein Kleiderbügel mit abgewandtem Blick nach hinten und feuerte furchtlos auf das ausgebreitete Ziel. Jede Patrone hätte das Papier mühelos durchschlagen, wenn es denn getroffen worden wäre. Immerhin hätte so eine tückische Streuattacke dem Räuber den Fluchtweg vereitelt.
Tja, Leute, gegen so eine Wehrübung ist River-Rafting oder Bungee-Jumping doch nur was für Warmduscher!
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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