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Ein gutes Bild ist ein scheues Reh

Der in München und der Oberpfalz lebende Künstler und Fotograf Olaf Unverzart  versteht sich selbst als Dokumentar, seine Bilder bewegen sich stets abseits der touristischen Idylle. So sind etwa in seinen Aufnahmen der Alpen selten Menschen zu sehen, ihre Spuren hingegen überall. 

Mit der Buchveröffentlichung ÉTÉ (2020, Kettler Verlag), für die er gemeinsam mit Sebastian Schels touristische Architektur in den Alpen – mit, wie wir finden: kühlem, schonungslosen Blick – dokumentierte, hat er uns in den Bann gezogen. 

Was bzw. wer steckt hinter diesen vielschichtigen, gleichermaßen beeindruckenden wie irritierenden Aufnahmen?

Zeit für einen Besuch in München und ein Gespräch mit dem Menschen wie dem Fotografen über Fotografie, Freiheit, Ferne und Architektur.

Nachdem dein Jugendtraum vom Profi-Radsportler nicht in Erfüllung gegangen ist: Was genau hat dich seinerzeit zur Fotografie bewogen und was fasziniert dich daran noch heute am meisten?

Olaf Unverzart: Ich kam zur Fotografie, da sie anscheinend das Ausdrucksmittel war, mit dem ich mich am meisten verstanden sah und fühlte. Der Beruf hat zudem viel mit meinen Sehnsüchten nach Freiheit, Reisen, Entdeckungen, meiner Neugier und meiner Rastlosigkeit zu tun.

Du willst mit deinen Fotografien sensibilisieren, aber nicht erziehen. Dir ist nicht wichtig, wie deine Bilder auf den Betrachter wirken. Vielmehr sind sie zuallererst deine Auseinandersetzung mit der Welt, deine Suche nach Antworten mittels Fotografie…. Diesen, deinen Blick bietest du dann dem Betrachter an. Soweit richtig?

Olaf Unverzart: Richtig. Auf keinen Fall erziehen. Eher schon ein Angebot machen, meine Sicht auf die Welt zu teilen. Die Wirkung ist mir nicht primär wichtig. Aber natürlich ist jede Art von „Erreichen“ ein Gewinn.

Du vermeidest Wertungen, in deinen Bildern soll immer der Ist-Zustand im Vordergrund stehen. Haben insofern Begriffe wie „Schönheit“ für dich überhaupt eine Relevanz?

Olaf Unverzart: Schönheit ist eine sehr subjektive Sache und ich halte wenig von Kategorien oder Wertungen. Das Motiv muss für mich relevant sein; „schön“ ist dabei keine entscheidende Definition.

Heimat ist für dich…?

Olaf Unverzart:… ein wohliges Gefühl, das sich aus einem Ort und den engsten verbündeten Menschen nährt.

Nachdem du beruflich so viel unterwegs bist: Hast du als Privatperson überhaupt noch Fernweh?

Olaf Unverzart: Mein Ziel ist  auch meine Aufgabe und die heißt Ankommen. Dafür braucht es meist ein ganzes Leben, mit vielen Umwegen. Meine Reisen waren immer Teil dieser Aufgabe. Eine  Unterscheidung in Fotograf und Privatmensch treffe  ich dabei nicht. Und, zurück zur Frage: Ja, ich schätze es weiterhin sehr, fremde Länder zu bereisen und neue Menschen kennenzulernen.

Deine Schwester ist Architektin und Sebastian Schels, mit dem du manchmal  zusammenarbeitest, ist Architekturfotograf. Hat dich das nie gereizt: Selbst entwerfen bzw. Architektur schwerpunktmäßig abzubilden?

Olaf Unverzart: Nein, Beides sind keine verpassten Lebensträume. Eher hätte ich gerne mehr geschrieben oder Musik gemacht. Architektur ist eine große Kunst, und im besten Fall stiftet sie auch noch Sinn. Ich schaue gerne ehrfürchtig und genau drauf.

In vielen deiner Arbeiten beschäftigst du dich mit dem Einfluss des Menschen auf Landschaften. Die Berge nehmen hier einen großen Raum ein. Was genau macht ihre Faszination für dich aus?

Olaf Unverzart: Berge sind für mich eine vitale Reibungsfläche. Sie sind da und ändern ihren Standpunkt nicht. Sie brauchen mich nicht, können schroff und brutal sein. Ich mag Landschaften, die weniger lieblich sind, wo das Wetter das Sagen hat. 

Über die Jahre haben wir uns mit unseren jeweiligen Eigenheiten angefreundet.

Da du keinen Urlaub im klassischen Sinne machst: Für dich braucht es also eigentlich gar keine URLAUBSARCHITEKTUR, oder?

Olaf Unverzart: Bevor meine Kinder auf die Welt kamen, bin ich in manchen Jahren die Hälfte der Zeit gereist. Mit Begriffen wie Erholung, Urlaub oder Freizeit kann ich weniger anfangen, das soll jetzt aber weder weltfremd noch überheblich klingen. Es sind einfach nicht die Kategorien, die meine Leben gliedern und bestimmen.

Häuser und Orte, die einen besonderen Charme haben, die funktionieren und nicht einsperren, sondern mit ihrer Umgebung korrespondieren, interessieren mich hingegen sehr. Dort könnte ich gut Zeit verbringen und versuchen, glücklich zu sein. Also bin ich durchaus Teil der Zielgruppe von Urlaubsarchitektur.

Um den einen Moment zu erwischen, bedarf es guter Vorbereitung, vor dem Motiv zudem große Geduld. Genau hinsehen, wie absichtslos ausharren und dabei wachsam sein, sich einlassen. Ist es das, was dich als Fotograf charakterisiert?

Olaf Unverzart: Ja, könnte ich so gesagt haben. Es ist eine Art Spiel – manchmal leichter, oft schwer. Ein gutes Bild ist ein scheues Reh.

Für das Projekt ÉTÉ, das du gemeinsam mit Sebastian Schels realisiert hast, habt ihr euch wie eingangs erwähnt Wintersportorte in den Alpen und deren Architektur vorgenommen – im Sommer und im entvölkerten Zustand. 

Olaf Unverzart: Das sind unwirtliche Orte, die sich fast wie Filmkulissen anfühlen. Die ganz dem Urlaub unterworfene Architektur und Infrastruktur bestimmen dort alles. Dazu kommen die Höhenlagen, in denen auch im Sommer eine karge Vegetation vorherrscht und das Wetter immer eine wichtige Komponente ist. Menschen gibt es dort sommers deutlich weniger, aber Freizeitprogramme und Unterhaltungsangebote spielen auch dann an fast allen Orten eine enorme Rolle. 

Was kann Fotografie leisten? 

Olaf Unverzart: Ich traue ihr zu, dass sie mich mein Leben lang begleitet. Und dieses Leben besser oder weniger unglücklich macht. Sie ist mein Zugang zur Welt. Und bestens für Melancholiker geeignet – denn immer, wenn man etwas sieht, ist es schon vorbei.

Fotografische Bilder sind ja das Kommunikations- und Informationsmedium unser Zeit schlechthin. Sie sind wichtig und mächtig geworden und werden es durch allseitiges, ständiges und massenhaftes Teilen und Weiterverbreiten immer mehr. Meine Fotografie ist da in vieler Hinsicht noch im Analogen verwurzelt.

Oft bist du mit Mittel- oder Großbildkamera in den entlegensten Gegenden unterwegs. Wenn dann der eine Moment – wetterbedingt – nicht kommt… 

Olaf Unverzart: Dann ist es so. Das passiert immer wieder mal. 

Lernt man damit umzugehen? 

Olaf Unverzart: Ungern. 

Du möchtest deine Aufnahmen nicht allzu sehr seziert bzw. analysiert wissen. Ist das eher die Rolle deiner Galerist:innen, denen die Aufgabe zukommt, diese in einen Kontext einzuordnen, dem Betrachter zumindest Deutungsebenen anzubieten?

Olaf Unverzart: Nicht nur, die Zusammenarbeit mit meinen Galerien ist gerade auch in der Entstehungsphase von Serien wichtig. Neben der Vermittlung und Platzierung im Kunstmarkt geht es bestenfalls auch darum, gemeinsam etwas zu schaffen.

Normalerweise mache ich alles, was ich fotografisch erschaffe, mit mir selber aus (ÉTÉ mal als Ausnahme). Eigentlich arbeitet man als Künstler ja zu 90 % nur mit seinem eigenen Echo – da sind Fragen oder Meinungen manchmal nicht das Schlechteste.

Du hast zum Ende unseres Vorgespräches erwähnt, daß du es spannend fändest, wenn man den „Typ“ hinter dem Fotografen sehen würde. Dann erzähl mal…

Olaf Unverzart: Fotografie kann Ausschnitte der Welt dokumentieren und muss, damit sie einen Mehrwert hat und für mich als Ausdrucksmittel ausreichend Kraft besitzt, auch die Welt interpretieren können. 

Somit müsste der Autor hinter der Kamera in den Aufnahmen, die er/sie als gut und wichtig empfindet, auch selbst zu entdecken sein. Also muss man eigentlich nur genau hinschauen und sieht so vielleicht auch mich in meinen Bildern.

Was ist für dich Luxus? 

Olaf Unverzart: Luxus bedeutet sich Zeit nehmen zu können und frei zu entscheiden, wann man was machen will.

Besteht nicht ein wesentlicher Sinn von Fotografie darin, die Vergänglichkeit der Erinnerung ein Stück weit zu besiegen helfen? 

Olaf Unverzart: Besiegen würde ich nicht sagen. Fotografie ist eine wunderbare Erfindung, um einen Zugang zur Welt zu finden und sie kann eine Sprache sein mittels derer man aus der eigenen Welt (Spiegel) oder fremden Welten (Fenster) erzählt.

Was kann Architektur deiner Meinung nach bestenfalls leisten?

Olaf Unverzart: Sie sollte mit der Natur kommunizieren und den Bewohner:innen neben Schutz und Lebensraum vor allem einen Möglichkeitsraum eröffnen, um Neues denken zu können. Oder mit Frank Lloyd Wright: „Study nature, love nature, stay close to nature. It will never fail you.“


Website

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Portrait in der ARD

Buch ÉTÉ

Oechsner Galerie

Coming soon: Buchveröffentlichung „Walking Distance“ (2022) – 30 Jahre Streetphotography

Interview: Ulrich Stefan Knoll, November 2021

2Kommentare

2 Kommentare

Für mich sind die Aufnahmen von Olaf Unverzart Fenster in eine Welt die an "uns" vorüberzieht ohne sie wahrzunehmen. Chapeau!!

Gernot Schulz sagt:

fantastische Fotos! liebe Grüße Eva Schlegel

Eva Schlegel sagt:

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