Guiding Architects ist seit 20 Jahren eine Institution, wenn es darum geht, Städte und Regionen unter fachkundiger Führung durch Architekt:innen und Architekturjournalist:innen kennenzulernen. Was Gäste erwartet und wie das Netzwerk funktioniert, erzählen die langjährigen Partner:innen Anneke Bokern (Amsterdam, Rotterdam), Thomas Krüger (Berlin) und Bernd Nitsch (Bilbao).
Mit euch kann man Europa- bzw. weltweit Metropolen und deren Regionen entdecken – in unterschiedlich langen, unserer Erfahrung nach immer hochwertigen Touren. Was habt ihr denn so alles im Angebot?
Bernd Nitsch: Als vor Ort vernetzte Architekt:innen haben wir sehenswerte Architekturen in einer Vielzahl von Tour-Vorschlägen aufbereitet , aus denen unsere Kunden auswählen oder diese selbst bausteinartig bis hin zu individuellen Mehrtagestouren kombinieren können.
Wobei wir ein sehr heterogenes Netzwerk sind. Die meisten unserer Mitglieder sitzen in großen Metropolen und bieten Touren in ihre Städte und deren Umland an. Es gibt aber auch einige Partner:innen, welche eher eine ganze Region repräsentieren – in meinem Fall Bilbao und das gesamte Baskenland.
Euch gibt es ja schon seit geraumer Zeit… was ist eigentlich der Schlüssel zum Erfolg?
Thomas Krüger: Ich glaube, was uns verbindet, ist die große Freude anderen Menschen Baukultur zu vermitteln. Es war sicher kein Zufall, dass ich 1996 mit Hans Geilinger einen Architekten traf, der wie ich aus der Lehre kommt, und seinerzeit mit seinen Schweizer Studierenden Berlin besuchte. Uns verband diese Leidenschaft, Anderen die Augen zu öffnen, über Architektur die Welt zu verstehen. Damals entstand eine lebenslange Freundschaft, die letztlich die Grundlage für unser Netzwerk war. Aus Zwei wurden Vier, dann waren wir Elf und plötzlich ein Verein.
Ich mag diesen etwas sperrigen Begriff der Baukulturvermittlung, weil er Architektur, Städtebau, Landschaftsarchitektur und Ingenieurskunst umfasst. Es geht ja nicht nur um Gebäude, sondern um die Dinge, die dahinterstecken. Wir erklären nicht trockene Bauphysik oder Baustoffkunde, wir betrachten Baukultur als Spiegel der Gesellschaft.
Mit Stadtführungen von Architekt:innen haben wir eine Lücke entdeckt und eine stetig wachsende Nische gefunden. Zuvor wurden solche Führungen oft von Kunstgeschichtlern durchgeführt, die meist in die Vergangenheit schauen. Die Sicht von Architekt:innen aber geht von der Gegenwart aus – und das interessiert die Menschen, weil mit Architektur ja jede:r umgehen muss. Das erklärt meines Erachtens den Erfolg von Guiding Architects.
Hat sich die Nachfrage über die Jahre geändert?
Anneke Bokern: Typische Kunden von Guiding Architects sind schon immer Architekturbüros, Architekturverbände, Projektentwickler:innen, Städte und Gemeinden, Student:innen, aber auch Kunstvereine und Architekturfreund:innen. Daran hat sich nicht viel geändert. Aber natürlich möchten sie inzwischen immer öfter Projekte rund um das Thema Nachhaltigkeit sehen. Auch innovativer Wohnungsbau steht als Tour-Thema an verschiedenen Standorten hoch im Kurs. Bei uns in Holland ändern sich in letzter Zeit die Herkunftsländer der Gruppen spürbar. Wir hatten schon immer viele deutschsprachige Gäste, aber auch viele Skandinavier. Immer mehr Firmen finden es aber nicht mehr vertretbar, für einen kurzen Teambuilding-Ausflug ihre gesamte Belegschaft quer durch Europa zu fliegen. Norweger und Schweden schaffen es deshalb nicht mehr so oft in die Niederlande wie früher, dafür schauen nun unsere Nachbarn:innen aus dem Osten und Süden viel öfter vorbei. Gute internationale Zugverbindungen sind da Gold wert!
Bernd Nitsch: Die heutige Welt verändert sich schnell und entsprechend auch die Themen, für die sich unsere Kund:innen interessieren. Interessante Architekturen entstehen ja meist in einem progressiven Umfeld. Für Bilbao, dass sich mit dem Guggenheim Museum ein neues „Image“ verpasst hat, gilt dies extrem. Die Stadt ist im ständigen Wandel, von Null auf Hundert quasi – ab 1997 wurde Bilbao geradezu von Reisenden überrannt.
Die Kund:innen aus dem eher professionellen Umfeld haben oft ein strategisches Interesse: sie wollen von den lokalen Erfahrungen lernen. Wir tragen unseren Teil dazu bei, das Gebaute zu verstehen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Während das Guggenheim zu einem Dauermagneten geworden ist, kommen immer neue Orte dazu: Vitoria im Süden Bilbaos etwa. Die Hauptstadt der spanischen Autonomieregion Baskenland wurde ab 2012 als „european green capital“ einem größeren Kreis durch seine grüne strategische Stadtpolitik bekannt.
Wie habt ihr euere Programme an die geänderte Nachfrage angepasst?
Anneke Bokern: Viele Guiding Architects bieten inzwischen neben Highlight- Programmen mit Architekturikonen auch Touren zu Nachhaltigkeitsthemen an, zum Beispiel zu neuen Mobilitätskonzepten, Wassermanagement, Holzbau oder Transformationen. Das hat auch den Vorteil, dass wir damit neue Kundengruppen ansprechen, die vielleicht keine klassische Architekturführung buchen würden. Außerdem arbeiten wir daran, unsere Touren nachhaltiger zu gestalten. Dazu gehört zum Beispiel, weniger Bus- und mehr Fahrradtouren anzubieten.
Spürt auch ihr Auswirkungen durch die Entwicklungen im Tourismus, sprich: wohin gehend haben sich die Erwartungen der Gäste über die Jahre verändert?
Anneke Bokern: Ein wichtiger Trend ist sicherlich, dass neben „A“-Städten auch „B“-Städte immer gefragter sind. Berlin, Paris oder New York bleiben natürlich Klassiker, die jede:r gerne besucht. Aber immer mehr Gruppen zieht es auch nach Valencia, Rotterdam oder Glasgow. Dort gibt es noch viel Neues zu entdecken, sind die Hotelpreise niedriger und ist es nicht so überlaufen.
Thomas Krüger: Zusätzlich zu den Architekturführungen in unseren Städten bieten einige von uns mittlerweile auch Architekturreisen an, die sich ebenfalls einer wachsenden Beliebtheit erfreuen. Sie sprechen nicht nur Fachkolleg:innen an, sondern wenden sich an alle an Baukultur interessierten Menschen.
Ihr trefft euch regelmäßig zum Austausch. Beobachtet ihr signifikante, lokale Unterschiede, was das Interesse der Gäste angeht oder die interkulturelle Kommunikation betrifft?
Thomas Krüger: Ja, es gibt deutliche Unterschiede. Unsere spanischen oder italienischen Partner:innen etwa haben seltenst einheimische Gruppen, sie bedienen zu fast 100 Prozent Gäste aus dem deutsch- oder englischsprachigen Raum. Da sind auch deutliche Mentalitätsunterschiede zu spüren: Skandinavier, Österreicher, Schweizer oder Deutsche sind oft sehr wohlhabend, reiselustig und bildungshungrig, während südeuropäische oder asiatische Gruppen sich zwar auch organisieren, aber auf Reisen tendenziell eher touristische Interessen verfolgen.
Anneke Bokern: Bei unserem jährlichen Treffen bemerken wir zunächst einmal, wie groß die kulturellen Unterschiede innerhalb unserer Organisation sind. Mehr als 40 Standorte in Europa und Übersee – das ist immer wie ein kleiner Kongress der Vereinten Nationen. Jeder kommuniziert, verhandelt, feiert auf seine eigene Art (schmunzelt).
Aber natürlich fallen im Austausch auch Unterschiede bei den Gästewünschen auf. In manchen Städten wollen die Gruppen vor allem neue Stararchitektur sehen, in anderen eher Architekturklassiker. In Istanbul oder Santiago de Chile etwa wollen die Kund:innen häufig ein Rundum-Sorglos-Paket buchen, in vertrauteren Umgebungen regeln sie vieles lieber selbst.
Bernd Nitsch: Es fällt auf, dass manche Themen wie etwa die Nachhaltigkeit länderspezifisch in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten abgearbeitet werden.
Und: Als eher „regionales“ Mitglied kann ich zwar gewisse Themen der Metropolen nicht bedienen; dafür gibt es in Bilbao mit der Rioja ein wunderbares, rurales Erlebnis rund um Architektur und Wein.
Wie funktioniert bei euch eigentlich die Qualitätskontrolle – validiert ihr euch gegenseitig?
Bernd Nitsch: Qualitätskontrolle wird sehr ernst genommen im Netzwerk. Gerade bei der Auswahl von neuen Partner:innen setzen wir viel Zeit und Energie ein. Unser Ziel ist es, jedes andere Mitglied des Netzwerkes bedingungslos weiterempfehlen zu können.
Dafür haben wir Standards formuliert, nach denen unsere Touren ablaufen sollen, um einen qualitativen Wiedererkennungswert zu schaffen.
Der Austausch im Rahmen unserer Jahrestreffen samt Workshops, aber auch das gegenseitige Besuchen hilft, diese Standards ständig anzuwenden und zu verbessern.
Habt ihr persönliche Architektur-Highlights oder unvergessliche Erinnerungen von Führungen?
Thomas Krüger: Für uns im Berliner Team sind es die schönsten Erfolgserlebnisse, wenn wir bei ganz jungen Menschen – Schülerinnen und Schülern etwa – Interesse für Baukultur wecken können. Sie sind die am schwierigsten zu „packende“ Klientel, denn: wer interessiert sich schon im Teenageralter, noch dazu in Gruppenstärke, für Architektur und Baukunst? Eine echte Herausforderung. Und das schönste Lob, wenn wir nach einer Führung hören: „Ich wusste gar nicht, wie viele interessante Aspekte in einem einzigen Gebäude stecken können.“ Persönliche Highlights habe ich viele und sie wechseln auch. Gerade bin ich von einer Aalto-Exkursion aus Finnland zurückgekommen und noch immer restlos begeistert von seinem Rathaus in Säynatsalo, welches ich nur von Abbildungen kannte. Was wieder einmal zeigt, wie wichtig das physische, das haptische Erleben von Architektur ist. Ein Trieb, die Dinge im Original zu sehen, Architektur wirklich „zu erleben“ und das auch noch weiterzugeben, ist etwas, was die Guiding Architects eint.
Mein persönliches Lieblingsgebäude in Berlin ist das Krematorium von Schultes und Frank Architekten, weil es mit moderner Sprache eine feierliche Ausstrahlung hat, die man sonst nur von alten Kathedralen kennt.
Bernd Nitsch: Natürlich hat man seine Favoriten auf den eigenen Touren… obwohl man das – alleine aus Berufsethik – klar als subjektiv herausstellt. In meinem Fall etwa die Metro von Bilbao oder auch eine hervorragend umgesetzte Altbausanierung samt Erweiterung wie das Casa Condestable in Pamplona.
Sehr schön ist es bei unseren Netzwerktreffen auch mal die Seiten zu wechseln und als Zuhörer von Kolleg:innen geführt zu werden – besonders in Gebäude, in welche man nur mit entsprechenden Kontakten gelangt.
Anneke Bokern: Ich freue mich immer, wenn Kunden nicht nur die neuesten Highlights, sondern zum Beispiel brutalistische oder strukturalistische Architektur sehen wollen. Dann lege ich mich auch gerne ins Zeug, um etwa den Besuch eines privaten Wohnhauses möglich zu machen.
Meine Höhepunkte bei Führungen von Kolleg:innen waren ein Picknick bei der großartigen Casa Ricarda von Antonio Bonet in Barcelona und ein exklusiver Besuch des leerstehenden Palazzo del Lavoro von Pier Luigi Nervi in Turin.
Guiding Architects ist das weltweit größte internationale Netzwerk von Architektur-Führungsunternehmen. Die Idee wurde 1996 von den Architekten Hans Geilinger und Thomas Krüger entwickelt, die in ihren Heimatstädten Barcelona und Berlin Architekturführungen durchführten.
Das Netzwerk wuchs organisch und informell, bevor es im Jahr 2004 mit 11 Gründungsmitgliedern zu einer offiziellen Einrichtung wurde. Heute hat der Zusammenschluss mit 38 Mitgliedsunternehmen in 22 Ländern seinen Sitz in Zürich und beherbergt jährlich rund 30.000 Gäste an 42 Destinationen weltweit.
Interview: Ulrich Stefan Knoll, August 2023
Bildnachweise:
Titelbild – Ysios. Foto: © cvzzn, Unsplash
01 © Kerstin Leicht, Guiding Architects München
02 Guggenheim Museum. © Bernd Nitsch, Guiding Architects Bilbao
03 Guggenheim Museum. © Mario La Pergola / Unsplash
04 Vitoria-Gasteiz. © David Vives / Unsplash
05 Vitoria-Gasteiz. © Bernd Nitsch, Guiding Architects Bilbao
06 Kubuswohnungen Rotterdam. © Anneke Bokern, architour.nl
07 Sluishuis Amsterdam. © Anneke Bokern, architour.nl
08 Gruppenfoto Guiding Architects. © Éva Fábián, Guiding Architects
09 Ysios. Foto: © cvzzn, Unsplash
10 Marqués de Riscal. © Jun Lee, Unsplash
11 Krematorium Berlin-Baumschulenweg. © Thomas Krüger
12 Metro Bilbao, Plaza Moyua. © Bernd Nitsch, Guiding Architects Bilbao
13 Palazzo del Lavoro, Turin. © Anneke Bokern, architour.nl
Ein Kommentar
Wunderbar, dass es dieses netzwerk gibt, liebe kolleg:innen, ich habe es selbst schon in lissabon genossen! oriana klebs, architektin