Warum Reisen bildet, aber nicht mehr Alle um jeden Preis bereist werden wollen.
Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Die Ballungsgebiete wachsen und werden nachverdichtet, Mietpreise und Wohnraumbedarf steigen dort vielerorts mittlerweile längst exponentiell. Während in der Provinz die Landflucht zunimmt, althergebrachte und gewachsene Strukturen teils schwinden oder der Ausbau moderner Infrastruktur häufig noch stockt. Oder, genau in umgekehrter Richtung, ehemals touristisch uninteressante Regionen wie etwa die Uckermark im Berliner Umfeld zunehmend „entdeckt“ werden – und das offensichtlich in einem Maße, welches selbst hochrangige Medien wie DIE ZEIT zwischenzeitlich auf den Plan rief.
Wieder andernorts haben Evergreen-Destinationen wie Venedig oder Mallorca die Nase voll von einem Land und Leute entwürdigenden Overtourism und versuchen sich mit spezifischen Initiativen der Touristenströme zu erwehren, die via Billigflieger oder Kreuzfahrtschiff wie Heuschreckenschwärme einfallen und ebenso plötzlich wieder verschwinden, ohne irgendeinen nennenswerten Mehrwert zu hinterlassen.
Die Pandemie mag diesbezüglich zeitweise eine Klammer gesetzt haben, doch die Probleme sind dadurch nicht weniger brisant geworden.
Was das mit uns, mit URLAUBSARCHITEKTUR zu tun hat?
Viele Partnerhäuser aus unserem Netzwerk liegen traditionell in eher ländlich geprägten Regionen. Dort hochwertige Gastgeberkultur und -architekturen verortet zu wissen, erachten wir als kleine, wertvolle Schritte in Richtung zukunftsweisender Reiseangebote – für und mit mehr Weitsicht, kultureller Empathie und Sinnhaftigkeit.
Falls – wie in obigem Uckermark-Beispiel – tatsächlich allzu konträre Standpunkte oder gar Verwerfungen entstehen sollten, werden wir diese (selbst)kritisch begleiten und konkret handeln. Denn die seit Jahren zu beobachtenden Überhitzungseffekte (Grundstückspreise wie Gemüter betreffend) und die auch bereits vor und unabhängig von Covid 19 aufgetretenen Unruhezustände in der Reisebranche (Bucket lists, Overtourism, Gentrifizierung) stimmen auch uns bedenklich.
Urlaubsarchitekturen, die in Gegenden liegen, die bislang nicht oder noch nicht wieder entdeckt worden sind und die noch für Furore sorgen könnten oder dies bereits still und heimlich tun, sind hiergegen selbstverständlich kein Allheilmittel. Aber sicher ebenfalls kleine Schritte in die richtige Richtung.
Einige dieser vergessenen Destinationen haben es im Zuge der Pandemie zu einer gewissen „Renaissance“ gebracht – wenn auch in geringerem Maße als von uns erhofft und forciert. Zudem haben viele unserer Leser:innen im Zuge des pandemiebedingt nochmals verknappten Angebotes an Urlaubsunterkünften antizipiert, dass Häuser und Destinationen in „2. Reihe“ in Hinblick auf einen Buchungserfolg deutlich vielversprechender sind, vor allem aber mit unerwartet positiven Urlaubserfahrungen aufwarten konnten.
Wie weiter?
Gut gebaute Architektur alleine kann selbstverständlich weder die Landflucht (in die eine oder andere Richtung) aufhalten noch eine Trendwende an überlaufenen Hotspots herbeiführen. Sie trägt allerdings dazu bei, derartige Entwicklungen punktuell abzuschwächen – mittelbar zumindest. Und kann in Verbindung mit einer achtsamen Gastgeberkultur aus unserer Sicht sehr wohl richtungsweisend sein, um Projekte mit Leuchtturmcharakter hervorzubringen.
In diesem Sinne freuen wir uns, wenn Sie über unser Netzwerk sinnhafte und authentische Urlaubserfahrungen an den „Rändern des Tourismus’“ machen und dabei unbekannte Orte aufspüren, die Sie – vielleicht entgegen erster Vermutungen – inspirieren und bereichern. Und mit deren Wahl Sie, ganz nebenbei, persönlich Einfluss darauf nehmen, wie es in der (Reise-)Welt langfristig weitergeht.
Unsererseits versprechen wir, zukünftig noch genauer und sorgfältiger hinzusehen, wenn wir neue Partner:innen auswählen und dabei unser Augenmerk noch stärker auf Nachhaltigkeit in all ihren Facetten zu legen.
“Und wenn wir die ganze Welt durchreisen, um das Schöne zu finden: Wir müssen es in uns tragen, sonst finden wir es nicht.”
(Ralph Waldo Emerson)
Text: Britta Krämer und Ulrich Stefan Knoll, November 2021
Der Beitrag erschien erstmals als Editorial unseres Buches URLAUBSARCHITEKTUR 2019. Aufgrund seiner nach wie vor hohen Aktualität wurde er lediglich um Erkenntnisse am Ende der 2. Corona-Reisesaison erweitert.
Ein Kommentar
Ein hervorragend geschriebener und so wichtiger Beitrag, der mich sehr beeindruckt hat. Vielen Dank an die beiden Autoren.
Sehr gerne lese ich immer Ihre neuen Beiträge und erfreue mich an den wunderschönen Objekten in herrlicher Umgebung und staune dabei immer wieder, wie unglaublich schön Architektur in die entsprechende Landschaft angepasst und sinnvoll gebaut werden kann.
Alles Gute Ihnen weiterhin und freundliche Grüße,
F.- B. Zerfaß