Die Schatzinsel am Niederrhein
Natur und Kunst, Landschaft und Architektur bilden auf der Insel Hombroich ein Spannungsverhältnis des Elementaren. Und vor allem: einen magischen Ort der Stille, Besinnung und des Entdeckens.
Richard Branson hat eine, Leonardo DiCaprio, Johnny Depp oder auch Shakira: eine eigene Insel. Nach Captain Flints Goldschatz suchen sie dort allerdings nicht, anders als in Robert Louis Stevensons Klassiker. Der Fluch der Prominenz ist die Paparazzi-Piraterie, das private Eiland ihr von türkisblauem Wasser umspülter Schutzraum. Ganz anderes allerdings hatte Karl-Heinrich Müller im Sinn, als er sich seine Insel kaufte. Sandstrände hat sie ebenso wenig wie Palmen. Sie liegt nicht einmal am Meer, sondern im nordrhein-westfälischen Neuss, zwischen Feldern, Kopfweiden und der Erft. Und vor allem ist sie kein Ort des Rückzugs. Im Gegenteil: die Insel Hombroich ist ein Ort der Offenheit für die Öffentlichkeit.



Museum Insel Hombroich: Alter Park
1982 erwarb der Immobilienmakler das um die 20 Hektar große Auenareal – nicht, um es zu besitzen, sondern um es zu gestalten. Denn der 1936 geborene leidenschaftliche Kunstsammler suchte einen Ort für ein Gesamtkunstwerk aus Natur und Kunst, Landschaft und Architektur, auf dem Künstlerinnen und Künstler leben und arbeiten, und das Besucher ganz entspannt entdecken können. Der 2007 verstorbene Mäzen glaubte fest an die Kraft der unmittelbaren Erfahrung, und gemeinsam mit dem Bildhauer Erwin Heerich und dem Landschaftsarchitekten Bernhard Korte entstand auf dem sumpfigen, niederrheinischen Gelände dann auch eine Kulturlandschaft der ganz besonderen Art.
Eine Schatzkarte voller Rätsel
Die Karte, um diesen Schatz zu suchen und zu finden, gibt es im Kassenhaus der Insel Hombroich, keine 20 Autominuten vom Neusser Hauptbahnhof entfernt: gedruckt auf weißem DIN A3-Papier, gefaltet zum kleinen Quadrat. Darauf abgebildet ist – schwarz auf weiß und äußerst reduziert – der Lageplan des Museums Insel Hombroich. 17 Ziffern kennzeichnen Erwin Heerichs skulpturale, über das ganze Gelände verteilte Bauten. Ein kleines Heftchen gibt es dazu. Vademecum heißt es, und so ist es auch gemeint: Vade mecum! Gehe mit mir! Mecum quaere! wäre allerdings auch eine mögliche Überschrift: Suche mit mir!

Los geht’s, vorbei an Gotthard Graubners ehemaligem Wohnhaus und Atelier. Der Turm stimmt ein auf Heerichs Pavillonarchitekturen: rot geziegelt allesamt, reduziert, klar, geometrisch. Kuben, Zylinder, Quader, Tempel des Minimalismus. „Ich bin kein Architekt und baue keine Häuser. Aber die Idee, eine Skulptur zu errichten, die einen Innenraum hat, reizte mich außerordentlich.“ Manche sind tatsächlich „nur“ das: reine Raumskulpturen. Andere beherbergen Kunstwerke aus Müllers Sammlung. Alle kommen ohne Strom aus, ohne künstliche Beleuchtung, ohne Personal. Und: ohne Schilder, die auf Titel, Künstler, Jahreszahlen verweisen.


Entdecken statt Erklären
Die radikale Antididaktik und minimale Besucherführung ist Programm: Auf Absperrungen, Beschilderung oder Kataloge wurde hier von Beginn an und wird bis heute bewusst verzichtet. Besucherinnen und Besucher sollen rätseln, zweifeln, entdecken, empfinden, und so ihre persönliche Zwiesprache mit der Kunst in der Kulturlandschaft halten. Und sie sollen sich Zeit nehmen dafür. Statt Souvenirshop oder Audioguide gibt es daher ein bäuerliches Buffet, eine ‚niederrheinische Kaffeetafel’ aus Korinthenbrot, Kräuterquark und Kaffee in der im Zentrum der Museumsinsel gelegenen Cafeteria. Sie ist im Eintrittspreis inkludiert und bis eine Stunde vor Schließung des Parks zugänglich, so oft man mag: Karl-Heinrich Müller wollte einen Ort der Gastlichkeit anbieten, der sich nicht nur auf das Genießen von Kultur und Natur beschränkt, sondern auch das leibliche Wohl befriedigt. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern vor allem ungewohnt – und ganz ehrlich: Es dauert, die Unruhe des Wissenwollens auszuhalten und sich auf ein entspanntes Erleben einzulassen. Ob man der gut 400 Objekte umfassenden Sammlung damit gerecht wird, muss wohl jeder für sich entscheiden.



Die Kunst der Stille
Denn sie ist durchaus anspruchsvoll: Skulpturen aus der Khmer-Zeit treffen auf Arbeiten von Hans Arp, Yves Klein, Lovis Corinth oder Francis Picabia. Antike Artefakte stehen gleichberechtigt neben zeitgenössischer Malerei, ostasiatische Figuren und afrikanische Masken korrespondieren mit europäischen Stillleben.

Müller sammelte keine Kunstgeschichte, sondern seine eigene Weltordnung, die angemessenen, großzügigen Raum bekommt in der wunderbar flachen, weiten Landschaft des Niederrheins. Die Erft umfließt das Gelände, teilt es in Halbinseln, schafft Feuchtwiesen und Auwälder. Bernhard Korte arbeitete mit der Natur, nicht gegen sie. Wege mäandern zwischen Weiden und Schilf, kleine Brücken führen über Seitenarme, das Licht bricht sich im Wasser. Man freut sich, dass es sonnig und trocken ist beim letzten Besuch – und wünscht sich für den nächsten Nebel und Nieselregen, für den übernächsten glitzernden Schnee und für den über-übernächsten…. „Vielleicht ist die Insel nur zu erleben, nicht zu beschreiben.“, vermutete der Gründer.



Als ‚landmarks’ besetzen die Pavillons von Erwin Heerich die Kulturlandschaft. Dazwischen begegnet man im Freien seinen Skulpturen ebenso wie Arbeiten von Anatol Herzfeld, einem Schüler von Joseph Beuys, der wie Heerich und Graubner lange auf Hombroich gearbeitet hat. Seine archaischen, aus Eisen und Holz geschmiedeten Formen scheinen direkt aus der Erde gewachsen zu sein: 36 Jahre lang war die Insel sein Schaffensraum und Ort für Austausch und Arbeit, so wie von Karl-Heinrich Müller gewünscht.


Die Raketenstation: Vom Militärgelände zum Kulturraum
Zeit, die Schatzkarte umzudrehen und die gut zwei Kilometer entfernte Raketenstation zu entern. 1994 kaufte Müller das Gelände der ehemaligen NATO-Raketenstation, sein Traum vom Kultur-Raum wuchs damit auf über 60 Hektar.


Heute stehen dort Bauten von Per Kirkeby, Alvaro Siza, Raimund Abraham, Terunobu Fujimori oder auch Tadao Ando, der 2004 die Langen Foundation entwarf, ein Museum für die Sammlung ostasiatischer Kunst von Victor und Marianne Langen sowie für wechselnde Ausstellungen.


Gelebt und geforscht wird aber auch auf der Raketenstation. Seit 2001 sogar nicht mehr nur von Kunstschaffenden, Komponistinnen oder Wissenschaftlern, sondern auch als Gast: zwölf einzeln oder zu zweit nutzbare Zimmer können im Gästehaus Kloster gebucht werden, für 100 Euro die Nacht, die Rechnung kommt im Anschluss an den Aufenthalt per Post. Auch das gehört zum Konzept der Stiftung Insel Hombroich, die heute verantwortlich ist für die Geschicke dieses Schatzes: Vertrauen statt Transaktion.
Das Gästehaus Kloster
Den Schlüssel für die vier hölzernen Tore, die auf den H-förmigen Innenhof führen, holen sich die Gäste während der Öffnungszeiten im Kassenhaus des Museums Insel Hombroich. Sie öffnen auch die überhohen Schlafräume: Erwin Heerichs Sohn Martin setzte als Architekt den gewohnt radikalen, reduzierten Entwurf seines Vaters um.




Gästehaus Kloster
WLAN ist ein Zugeständnis an die heutigen Ansprüche, ebenso wie der nachträglich konzipierte halbhohe Sicht- und Lichtschutz, der bei Bedarf aus dem Schrank geholt und an den Fenstern angebracht werden kann. Angemessen karg gestaltete der Künstler und Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Oliver Kruse, die Einrichtung, die textilen Interpretationen des Grundrisses an den weißen Wänden stammen von Erwin Heerichs Frau Hildegard. Die große Küche für die Selbstverpflegung steht allen Gästen zur Verfügung. Sie ist der rechte Ort, um sich lautstark über die Stille der Kulturlandschaft und die Rätsel der Kunst auszutauschen. Und sicher auch – ein wenig erschöpft, aber großartig beschenkt – anzustoßen auf einen Erfahrungsraum, der alle Sinne belebt.
Das Hombroich-Ticket für Insel und Raketenstation kostet 25 Euro.
Museum Insel Hombroich, Minkel 2, 41472 Neuss
Gästehaus Kloster, Lindenweg, 41472 Neuss
www.inselhombroich.de, vermietung@inselhombroich.de
Text: Katharina Matzig
Bildnachweise:
Titelbild – Museum Insel Hombroich: Graubner-Pavillon. Begehbare Skulptur von Erwin Heerich © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle © Erwin Heerich, VG Bild-Kunst Bonn, 2024
1 / 2 – Museum Insel Hombroich: Alter Park © Stiftung Insel Hombroich / Foto: Jennifer Eckert
3 – Museum Insel Hombroich: Ohne Titel (Häuser), Anatol Herzfeld, undatiert © Anatol Herzfeld, Stiftung Insel Hombroich / Foto: Jennifer Eckert
4 – Museum Insel Hombroich: Turm © Erwin Heerich VG Bild-Kunst Bonn 2025 © Bildarchiv Foto Marburg / Foto Tomas Riehle
5 – Museum Insel Hombroich: Landschaft / Cafeteria © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle
6 – Museum Insel Hombroich: Cafeteria. Begehbare Skulptur von Erwin Heerich © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle © Erwin Heerich, VG Bild-Kunst Bonn, 2025
7 / 9 – Museum Insel Hombroich: Tadeusz-Pavillon. Begehbare Skulptur von Erwin Heerich © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle © Erwin Heerich, VG Bild-Kunst Bonn, 2024
8 – Museum Insel Hombroich: Tadeusz-Pavillon. Begehbare Skulptur von Erwin Heerich. Werke von Norbert Tadeuzs © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle © Norbert Tadeusz, VG Bild-Kunst Bonn, 2024 © Erwin Heerich, VG Bild-Kunst Bonn, 2024
10 – Museum Insel Hombroich: Sammlung Labyrinth © VG Bild-Kunst, Bonn 2025 / Foto: Helmut Claus
11 – Museum Insel Hombroich: Graubner Pavillon © Erwin Heerich VG Bild-Kunst Bonn 2025 / Foto: Jennifer Eckert
12 – Museum Insel Hombroich: Hohe Galerie © Erwin Heerich VG Bild-Kunst Bonn 2025 © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle
13 – Museum Insel Hombroich, Alter Park: Skulptur [ohne Titel] von Erwin Heerich, 1978 © Erwin Heerich VG Bild-Kunst / Foto: Katharina Matzig
14 – Raketenstation Hombroich: Haus für Musiker © Bildarchiv Foto Marburg /
Foto: Tomas Riehle © Raimund Abraham
15 – Raketenstation Hombroich: Langen Foundation © Bildarchiv Foto Marburg / Foto Tomas Riehle
16 / 17 – Raketenstation Hombroich: Siza Pavillon © Bildarchiv Foto Marburg / Foto Tomas Riehle
18 – Raketenstation Hombroich: Kirkeby-Feld, Sammlung Kahmen © Per Kirkeby, VG Bild-Kunst Bonn, 2024 / Foto: Stiftung Insel Hombroich
19 – Raketenstation Hombroich: Kirkeby-Feld, Drei Kapellen © Per Kirkeby, VG Bild-Kunst Bonn, 2024 / Foto: Stefano Graziani
20 / 21 / 22 / 23 – Gästehaus Kloster © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle






2 Kommentare
Hombroich ist grossartig.
Es ist geradezu irreal schön.
Es ist spektakulär eigenständig.
Es ist ungewöhnlich uneitel und selbstgenügsam.
Es ist eine atemberaubende Einbindung von Kunst und Architektur in eine Landschaft, die zugleich gewachsen und gestaltet ist.
Es ist ein seltenes Beispiel der gelungenen Verknüpfung von moderner Formensprache und traditionellen Materialen.
Es zeigt eine Auswahl von Künstlern, denen der handwerkliche Charakter Ihres Werkes noch selbstverständlich war.
Und das in Deutschland.
Wir waren im Oktober 2004 erstmalig dort, und wundern uns seitdem, wie wenig öffentliche Wahrnehmung dieses Gesamtkunstwerk erhält.
Aber es ist gut so. Die Insel lebt von der Ruhe und Contemplation.
Danke für die Erinnerung, wir kommen wieder.
Wundervoll diese puzzleartigen Einblicke in diesen Inselgarten , der Kunst und der Begegnung, man möchte sofort Anreisen.Frühling, oder Sommer :) , ich komme:):):)