Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Urlaub war Autofahren. Die Familie stieg in den Opel Kapitän, Vater mit Hut ans Steuer, die Kinder hinten. Toll, wenn wir den Tachometer im Blick hatten und sahen, dass sich der Wagen mit Tempo 100 dem Urlaubsziel näherte – nach Hornisgrinde, Hahnenklee oder Überlingen. Nur Amischlitten mit Doppelscheinwerfern und Heckflossen haben uns überholt.
Später als Studenten mit eigenem Auto wurden die Touren erst richtig spannend. Mutter machte sich Sorgen – nach Italien, so weit und über die Alpen? Denn man wusste nie, ob der fahrbare Untersatz durchhielt. Handys waren noch unbekannt, man schrieb nach der Ankunft eine Karte aus Cesenatico oder Torbole, die war eine Woche später schon da. Mit Pannen musste man immer rechnen. Herrlich, sie später ein wenig zugespitzt wiederzugeben: Wie wir am Gotthard liegen blieben, weil die ausgeliehenen Schneeketten nicht zur Reifengröße passten – ein Meter Schnee, ungelogen! Oder in Triest in finsterer Nacht bei einem Schleusenwärter eine Rohrzange borgten und mit Silberfolie und Draht die defekte Lichtmaschine flickten. Als ob Großvater aus Stalingrad erzählte.
Autofahren hatte den Hauch eines Abenteuers. Schon die Route zu finden, war eine Herausforderung. Es gab nur einen zerrissenen zehn Jahre alten Atlas, nix Navi, Verkehrsfunk, ADAC. Die Fahrt zum Mittelmeer orientierte sich an widersprüchlichen Empfehlungen und todsicheren Tipps. Logistik gehörte dazu, Etappenplanung, Taktik. Denn der Reservekanister hatte den Luftmatratzen und Schlafsäcken Platz machen müssen. So wurden die Exkursionen zur Rallye, ein Kampf gegen Steigungen, Starkregen, beschlagene Scheiben, heiße Kühler und hubraumstarke Limousinen auf der Überholspur.
Das kennen wir schon seit langem nicht mehr. Als wir unser neues Auto vor einer längeren Urlaubsreise abholten, sagte der Händler: Falls irgendetwas nicht geht, es kann nur an der Elektronik liegen, sonst kann nichts passieren. Aber Sie haben ja eine Mobilitätsgarantie. Wir sind ganz schnell in Ihrer Nähe.
Die Kinder wurden in ihre überschlagsicheren Sitze geschnallt, verdrahtet und hörten Abentergeschichten. Autofahren war ja sooo langweilig.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
Ein Kommentar
Wunderbar, ja so schön war das Reisen als wir uns auf die Socken gemacht haben. Aber " trotz" Navi und handy machts viel Freude, unterwegs zu sein. Und dank URLAUBSARCHITEKTUR tun sich ja auch ganz neue Ziele auf.
Mit den besten Wünschen
Jochen Schultz