Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Die Auswahl, was man im Urlaub anziehen muss, ist unübersichtlich geworden. Es hängt von vielen Details ab, eben davon, was man genau unternehmen will. Der Einfachheit halber gibt es dafür englische Bezeichnungen, die wieder unter einem Oberbegriff subsumiert werden. So kennt man sich schnell aus, wenn man zum Beispiel einen Strandurlaub plant, passen alle Aktivitäten ins Begriffsfeld „Beachen“. Damit sind den Verkäufern eindeutige Hinweise gegeben, dass sie keine Schlittschuhe anzubieten brauchen. Die Zeiten, in denen man mit seinem Schulanorak Segeln, Skilaufen und Wandern konnte, sind unwiderruflich vorbei. Vermutlich gibt es dafür bereits – ähnlich wie für Winterreifen – eine Verordnung, und mit Kleidung ohne professionelle Ausstattung macht man sich strafbar. Mir ist es bereits im Laden peinlich, wenn ich den verkaufsgeschulten Beratern nicht eindeutig sagen kann, wozu ich eine neue Joppe brauche: Wirklich nur Walking, kein Trekking, mit Tendenz zum Climbing? Aha.
Wie einfach war das noch, als ich mit meinen Eltern in unser Ferienhaus gefahren bin. Es lag völlig versteckt im Wald, das bedeutete, dass uns niemand sehen würde und wir deshalb auf Kleidung keine Rücksicht nehmen mussten. Also wurden alle abgetragenen Anziehsachen dorthin geschafft: Schuhe mit schiefen Absätzen, verfilzte Pullover, speckige Schneideranzüge. Von Komfort und Performance konnte keine Rede sein. Vater grub in seinem alten Zweireiher, mit dem er noch vor kurzem an der Vorstandsitzung teilgenommen hatte, die Beete um. Das fehlende Gefühl für Freizeitkleidung führte allerdings dazu, dass er versehentlich immer wieder lehmverschmiert mit einem neuen Anzug durch den Garten krauchte. Das löste regelmäßig kulturelle Grundsatzdiskussionen zwischen meinen Eltern aus.
Im Prinzip war es so, dass in dem Ferienhaus ein endloser Fundus an abgetragener Kleidung verwahrt wurde. So konnte man auch Freunden und Bekannten aushelfen, wenn sie uns für eine gemeinsame Wanderung besuchten. Wichtig war, dass wir alle unsere Ausweise dabei hatten, falls uns im Wald etwas zustoßen würde. Man hätte uns sonst für Flüchtlinge aus der Zone gehalten.
—
Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
0 Kommentare