Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Mein Großvater war ein Sonntagsfahrer. Er fuhr grundsätzlich mit Hut, er fuhr langsam und selten. Sonntags. Nach Wasserburg, an den Wörthsee, ins Isartal. Großvater fuhr nur bei Tag und nur bei schönem Wetter und nicht, wenn es zu kalt war. Ich glaube, er hat nie ein anderes Auto überholt, es sei denn ein parkendes. Neben ihm saß meine Großmutter. Sie sagte ihm, wie und wo er fahren musste. Vorne links, dann geradeaus. Vorsicht, da kommt einer. Fahr nicht so schnell. Sie kannten beide die Strecke auswendig, da sie immer das gleiche Ziel hatten: Wasserburg, Wörthsee, Isartal. Im Urlaub fuhren sie ins Allgäu oder an den Bodensee. Wenn sie einkehrten, haben sie zusammen nie mehr als eine Maß getrunken.
Zur Arbeit kam Großvater mit dem Rad. Als Rentner entfiel das. Aber auch dann nahmen beide wochentags in die Stadt die Trambahn, wenn sie zum Einkaufen fuhren.
Samstags wurde das Auto, ein VW-Käfer – was sonst –, regelmäßig gewaschen. Nur mit klarem Wasser. Auch wenn niemand damit gefahren war. Das gehörte sich irgendwie zum Wochenende. Die einzige Sonderausstattung, die im Laufe der Jahre investiert wurde, waren Schonbezüge, ein beleuchtetes (!) D-Schild und ein Blumenväschen am Armaturenbrett, um die von Großmutter bei den Wochenendexkursionen gepflückten drei Margeriten oder Kornblumen aufzunehmen. Beim Tanken – Großvater blieb dabei immer hinterm Steuer sitzen und orderte zwanzig Liter Aral – ließ er jedes Mal Luft, Wasser und Öl kontrollieren. Aber nie fehlte etwas. Sollte es vor fünfzig Jahren schon den Treibhauseffekt gegeben haben, Großvater hatte daran keine Schuld. Sein Auto fuhr so langsam, dass der Motor nie mehr als die Hälfte seiner fünfundzwanzig PS hergeben musste. Trotzdem kam er nie zu spät. Er fuhr gerne Auto, er lenkte es wie ein Schaffner, vielleicht wie ein Kapitän. Mein Vater lachte über ihn, und wir Kinder wussten: Großvater war ein Sonntagsfahrer. Furchtbar. Nach seinem Tod kaufte ein Student das Auto. Es war achtzehn Jahre alt und 51.000km gelaufen.
Heute wissen wir, Großvater war seiner Zeit meilenweit voraus.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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