Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Jeder Urlaubstag hat einen anderen Wert, fühlt sich anders an. Am ersten Tag ist die Erholung gleich Null, die Erwartung unendlich. Das ändert sich während der Laufzeit, funktioniert also ähnlich wie Zero-Bonds. Bei beiden ist der Gewinn spekulativ.
Wenn man endlich aufbricht, das Auto wieder bis zum Schiebedach vollgeladen hat, ist man vom Packen, Umpacken, Gas Abstellen, Nachbarn wegen der Blumen Instruieren, Zeitungsabo Umleiten… völlig erledigt. Doch mit der Vorfreude hat man sich ein stabiles Polster umgelegt, das magische Kräfte verleiht. Urlaub, zwei volle Wochen, du fasst es nicht! Endlich keine Meetings, keine Workshops, keine Marktanalysen mit Frau Splittgerber. Unglaublich!
Die Anreise absolviert man entspannt, das Auto hat Klimaautomatik, und alle Beethoven-CDs sind dabei. Damit ist man für jeden Stau gewappnet. Später wird man sich gerne an die Fahrt erinnern: an das Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande. Und der ganze Urlaub lag noch vor einem!
Danach hieß es mit dem Ferienkapital haushalten. Schnell ist ein Tag um, man hat sich nur mal orientiert, noch nichts erlebt. Dann der zweite: Regen! Der dritte, ein Montag, die Museen haben zu. Weiter mit der Vier und der Fünf: wenigstens etwas Sonnenbrand bei der Bergwanderung. Aber ein Drittel der Zeit ist vorbei! Und wirklich sensationell war noch nichts. Man könnte die Splittgerber mal nach dem Monatsabschluss fragen.
Erst ab Urlaubsmitte kehrt sich die Wahrnehmung um. Die Nabelschnur zum Büro ist gerissen, man schläft nicht vor Erschöpfung länger, sondern aus Faulheit. Beim Padrone hat man seinen Stammplatz, die Barockkirchen des Ortes könnte man blind auseinander halten, die restlichen Ziele noch bequem schaffen, sofern man wollte.
Doch die beiden letzten Tage zwingen zur rationalen Kalkulation. Schließlich will die Rückfahrt überlegt werden. Man plant eine langsame Heimreise mit vielen Sehenswürdigkeiten am Weg. Damit zögert man den Abschied hinaus. Die Stimmung ist verhalten, eine bleierne Schwermut fährt mit. Man spürt, es wird gleich wieder alles so sein wie vierzehn Tage zuvor. Als wäre nichts gewesen.
Und die Splittgerber hat noch ihren ganzen Jahresurlaub vor sich!
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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