Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Meine Frau und ich leben in einer sogenannten Mischehe. Das heißt, wir sind beide eindeutig hetero orientiert. Aber auch unsere bevorzugten Urlaubsziele werden von divergierenden Glaubensfragen bestimmt. Meine Frau bevorzugt das Meer – Nordsee, Ostsee, Atlantik –, ich möchte auf jeden Fall in die Berge. Ein Kompromiss sind oberitalienische Seen oder das Mittelmeer. Da muss man wenigstens über die Alpen fahren. Was das mit Religion zu tun hat? Sehr viel. Sehen Sie, wenn ich an der Nordsee stehe und über das endlos bleigraue Wasser schaue, brauche ich einen starken Glauben. Da ist nämlich rundum nichts zu sehen. Nach zwei Wochen Sommerurlaub würde ich es nicht mehr grundsätzlich ausschließen, dass die Erde eine Scheibe ist. Es kommt ein Schiff geladen, hoffen die Evangelischen, irgendeine Gnade. Meine Frau gehört auch dazu. Alle zehn Jahre schafft sie es, dass wir nach Norden fahren. Obwohl ich Pazifist bin, verbuche ich diese Schwerwetter-Manöver im Watten-Schlick als Wehrübung.
Wie herrlich ist dagegen selbst ein kurzes Ferienwochenende in den Bergen! Schon die Barockkirchen, die dem Katholiken den Weg weisen – alles Inkunabeln der Baugeschichte! – bereiten auf das transzendente Erlebnis vor. Es geht in die Höhe, zum Licht. Wie ist es dem Herrn, als er diese eine Schöpfungswoche mal gearbeitet hat, zauberhaft gelungen, dass der Bodenteppich seiner Erde so großartige Gebirgsfalten schlägt! Da dürfen wir nun hinaufsteigen und uns übungshalber dem Himmel nähern. Sursum corda! Empor die Herzen! Schon die Richtung stimmt also. In Bayern begleiten Hütten den beschwerlichen Aufstieg. Sie dürfen auch von Protestanten besucht werden, die Ökumene war in den Bergen immer weit fortgeschritten. Ob die Evangelen auch an der sich anschließenden rauschhaften Seligkeit teilhaben können, weiß ich nicht. Uns Katholen genügt es, wenn wir die letzten Wolkenbänke hinter uns gelassen haben und am Gipfelkreuz in die gleißende Sonne sehen. Da braucht es gar keinen starken Glauben mehr, um sich vorzustellen, dass sich der Himmel auftut, damit wir Seine Herrlichkeit schauen.
Meine Frau ist immer ein wenig enttäuscht, weil sie so hoch klettern musste und man nicht einmal das Meer sehen kann. Heilandzack, Protestanten halt!
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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