Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Im Urlaub will man etwas erleben. Wem sage ich das. Es gehört zum Beispiel immer dazu, sich irgendwie beschaulich oder sportlich im Freien zu bewegen. Eben anders als im Büro, in der Fabrik oder auf dem Traktor. Es ist also nicht bloß eine Frage des Budgets, wenn Menschen sich für die schönste Zeit des Jahres unter ein paar wasserdichten Stoffbahnen einrichten. Oder in einem fahrbaren „Wohnwagen“, wie ihn sonst Schausteller benutzen und die Damen eines noch älteren Gewerbes an den Ausfallstraßen.
Diese mobilen Interimsbehausungen darf man nicht überall aufschlagen oder abstellen. Nicht nur, weil das die anderen Erholungssuchenden stören würde, wenn im Englischen Garten auf einmal gezeltet würde, sondern weil auch der Camper selbst ein wenig bequeme Infrastruktur sucht. Urban nesting, wie es in Architekturfachzeitschriften gerne heißt.
Nachdem man diese Areale zunächst zur sommerlichen Kultivierung angelegt hatte, war es nicht mehr weit, daraus ohne großen Mehraufwand winterfeste Dauercampingplätze herzustellen. Solche städtebaulichen Notaufnahmelager liegen häufig an den malerischsten Flecken, an den Gestaden von Bergseen, Flussufern oder am Saum von Naturschutzgebieten. Die Parzellen sind ähnlich wie in Schreberkolonien rasterartig geordnet, nur dass hier keine gärtnerischen Ambitionen gefragt sind. Es geht ums schlichte Hausen.
Wie die Konditionen sind, bleibt dem unbeteiligten Beobachter unklar. Es scheint, als sollte alles nach ambulanter Architektur aussehen, als würde man sich auf ein Signal hin fluchtartig mit seinem Gefährt in Bewegung setzen, gleichzeitig versucht jeder, sein Biwak mit Blechen, Folien und Planen wetterfest zu machen und wie ein Landhaus behelfsmäßig mit Loggien und Wintergärten zu vergrößern. Was die Baumärkte hergeben, hier wird es vertackert und verzurrt und verklebt. Lagos und Garda sehen sich plötzlich ganz ähnlich. Wann ist es hier am Schönsten? Im Juli, wenn Wäsche zwischen den Gartenstühlen und Satellitenantennen flattert, Grillkohle schmaucht und Radios dudeln – oder im Novemberniesel, wenn sich hinter beschlagenen Fenstern ein paar einsame Pioniere an ihrer Isokanne wärmen? Ich weiß es nicht.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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