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Reisefieber #25: Short Cuts

Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR

Für uns Kinder waren kurze Hosen keine Sommerkleidung. Sie wurden aus dem Schrank geholt, sobald sich das Frühjahr halbwegs verlässlich zeigte. Gegen die Kälte wurden den Buben lange braune Wollstrümpfe angezogen, die man mit einem Schlitzbandgummi an die Unterhose knöpfte. Das war überaus peinlich, verglichen mit Mutters eleganten Strumpfhaltern. Und das erklärt vielleicht heute die Vorliebe älterer Männer für schwarze Strapse.

Erwachsene trugen keine kurzen Hosen. Zumindest nicht werktags und erst recht nicht bei der Arbeit. Sie waren die Kleidung für Urlaub und Wochenende. Wenn sich im Hochsommer diese Ausnahmezeit ankündigte, fragte mein Vater meine Mutter nach seinen Shorts. Er benutzte die englische Bezeichnung, um dem legeren Kleidungsstück wenigstens einen Hauch von Würde zu geben. Damit war die Saison offiziell eröffnet. Die erste Anprobe geriet jedes Mal zum Ritual, weil der Hosenbund ungewohnt spannte. Dies sei nicht seine Hose, sagte dann Vater, sie gehöre sicher einem der Kinder. Man möge ihm seine Shorts heraussuchen, das könne doch nicht so schwer sein. Meine Mutter versicherte, dass es sich auf jeden Fall um dieselbe Hose handele, die er schon im letzten Jahr getragen habe, und fragte vorsichtig, ob er vielleicht zugenommen haben könnte. Das schloss Vater kategorisch aus, nannte die Vermutung eine Frechheit und schlug sein Strickhemd über den halb offenen Hosenbund. Du hast sie falsch gewaschen, sie ist eingelaufen, bot er vermittelnd an und trollte sich in den Garten.

Weiter pflegte er in seinen Shorts nicht zu gehen. Niemals zum Einkaufen oder gar in ein Lokal, wo man ihn kannte. Die kurze Hose war Urlaubskleidung, das offizielle Habit für den Angestellten im Ferien-Exklave. Es gab sie nur in Beige, dazu trug man braune Sandalen mit Kreppsohlen. So ausgerüstet war man atmosphärisch mit Urlaub umgeben, irgendwie abgemeldet und ausgemustert. Wenn sich zwei Männer überraschend in kurzen Hosen begegneten, sprachen sie nicht über ihre Arbeit. Es war klar, man war „draußen“, das wurde akzeptiert wie Volltrunkenheit, in diesem Zustand konnte man Kollegen nicht ernst nehmen und über die Bilanzen sprechen.

Seit wir mit Freizeitkleidung ins Büro gehen, ist diese Zurückhaltung verloren gegangen.

Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.

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