Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Ein Ferienhaus macht Arbeit, da darf man sich nichts vormachen. Wenn meine Eltern in unsere Datsche fuhren, gab es von morgens bis abends etwas zu tun. Es ging um Putzen, Instandhaltung, Weiterbauen.
Mein Vater hat dort immer gearbeitet. Wenn er nicht arbeitete, rauchte er, lief im Garten herum, blieb stehen und sprach lautlos mit unsichtbaren Kollegen. Er simuliert wieder, sagte Mutter. Von wegen abschalten! Vor allem beim Werkeln konnte sich mein Vater hervorragend auf seine Bürotätigkeit konzentrieren. Die körperliche Tätigkeit umgab ihn wie eine Aura, die ihn vor äußerer Ablenkung oder familiären Dienstleistungsaufträgen schützte. Da durfte er gedanklich ungestraft bei seiner Arbeit sein. Gleichzeitig konnten alle sehen, es ging voran: Ein Mäuerchen wuchs, ein Graben wurde tiefer, ein Laden nahm Farbe an, ein Baum war gelichtet. Das Ergebnis von Büroarbeit blieb dagegen unsichtbar.
Außerdem gehörten Handwerk und körperliche Strapazen zu den Insignien des Mannes. Man musste schwitzen, alle sollten es hören, das Graben, Hämmern, Sägen – und zwischendurch ruhig einmal einen lauten Fluch, denn der Beton war tückisch, das Material falsch geliefert, und das Werkzeug taugte auch nichts mehr. Aber das Ergebnis fiel – den widrigen Umständen entsprechend – immer ansehnlich aus. Und es war selbst gemacht.
Allerdings blieb Vaters Werkelei von einer gewissen Vorbildfunktion begleitet. Es wäre undenkbar gewesen, dass sich ein Besuch bei uns lediglich in die Sonne legte, Federball spielte oder den Nachmittag am Kaffeetisch verbrachte. Hilfreiche Mitwirkung gehörte schon dazu, wenn man es sich mit dem Hausherrn nicht verderben wollte. Werkzeug war ja mehrfach vorhanden, alte Kleidung gab es auch. Also wurde der rüstige Schwager mit seinen 70 Jahren die wacklige Leiter hinauf komplimentiert, um in Schwindel erregender Höhe die Dachrinne zu streichen. Und von der Schwiegertochter erwartete man, dass sie sich beim Baumfällen etwas anstelliger zeigte. So gab es nach jedem Besuch etwas zu bilanzieren. Das war die Nacharbeit.
Im Sinne Freuds können Ferienhäuser eine Quelle von Unglück sein, weil die Beherrschung der Natur und die Regelung menschlicher Beziehungen der herrschenden Aggressionsneigung Opfer auferlegen und einen fortwährenden Verzicht verlangen.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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