Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Venedig ist ein Sonderfall. Hier macht niemand Sommerurlaub am Meer. Wer den Lido besucht, mäkelt über die Algenplage und die stupid hintereinander gereihten Badehäuschen. Und selbst wer im Excelsior absteigt, sagt beiläufig, man könne ja duschen, wenn man aus der warmen, suppengrünen Brühe steigt. Denn man kommt eigentlich wegen irgendeiner Biennale in die Stadt.
Anders ergeht es den Reisenden, die auf den riesigen Kreuzfahrtschiffen durch den Guidecca-Kanal geschleppt werden. Sie können im klaren Wasser des Bordpools sielen, während die Serenissima zum Greifen nah vorüberzieht und man hoffen muss, dass kein ehrgeiziger Costa-Capitano die Salute-Kirche rammt. Tatsächlich wäre die Lagune nur 70 cm tief, aber wegen dieser Dampfer und der Öltanker nach Mestre werden die Kanäle regelmäßig ausgeschürft, was einen Stadt zerstörenden Wasserzufluss auslöst.
Von ihm profitieren auch die riesigen Privatyachten, die neben den Giardini festmachen. Sie sehen heutzutage so nierentischig aus, als seien sie alle von Jürgen Mayer H. entworfen. Der Luxus, den sie demonstrieren, ist unbeschreiblich. Die Fender, die über die Bordwand hängen, sind groß wie Öltanks und mit dunkelblauem Alcantara überzogen, die makellos weißen Festmacher laufen durch handgenähte Ledermanschetten, damit die rostigen Poller keine Spuren hinterlassen. Jeden Morgen reinigt die Crew die Bordwände mit angenehm temperiertem San Pellegrino. So kommt wenigstens einmal klares Wasser in die Bucht. Denn eine Kanalisation gibt es nicht, man vertraut auf die Dreikammer-Gruben, über die alle Hausbesitzer ihre eigenen Fäkalien und die von jährlich 30 Millionen Touristen ins Meer pumpen.
Was hinter den scheunentorgroßen schwarzen Scheiben der Yachten passiert, lenkt unsere Phantasie in Berlusconis Umgebung. In ahnungsvolle Wassernähe kommen die miteisenden jungen Damen nur bei einem Ausritt mit dem zehn Meter langen Speedboat, das über zwei Ausleger aus einer Garage in der Bordwand gehievt wird.
Venedig muss das alles aushalten.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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