Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Ferienwohnungen muss man erst einwohnen. Sie gehört uns noch nicht, sagt meine Frau immer, wenn wir uns an den ersten Urlaubstagen in der fremden Umgebung ausbreiten. Meistens werden die Wohnungen von Samstag an wochenweise vermietet. Wenn man zeitig anreist, kann man noch auf die Hausbesorgerin treffen, die gerade das Bad wischt und den Teppich saugt. Komisch ist es dann schon, wenn man die nach Putzmitteln riechenden, noch feuchten Räume von den unbekannten Vormietern übernimmt.
Möchte man wissen, wer in der Nacht zuvor in den Betten gelegen hat? Ob die das Besteck auch gründlich mit heißem Wasser nachgespült haben? Sicher ist das einzelne grüne Weinglas von denen, weil sie eins zerschlagen haben. Und die Helene-Fischer-CD im Abspielgerät gehört ihnen sicher auch. Im Flur liegen Prospekte der umliegenden Lokale, in einem Buch steckt eine gestempelte Karte der Bergbahn. Vor dem Kaminofen stapeln sich alte Zeitungen, Darmstädter Echo von letzter Woche. Wer mag alles hier gewesen sein? Ob wir mit diesen Menschen die Wohnung gerne geteilt hätten?
Eine Ferienwohnung ist eine Schnittstelle zwischen Unbekannten. Jeder Gast lebt sich oberflächlich ein, nutzt die Behausung ein wenig ab und hinterlässt etwas von seiner Urlaubs-DNA. Das Gehäuse wird wie eine leere Stafette weitergegeben. Das könnte der Aufhänger für einen Roman sein. Vielleicht finden wir einen Lottoschein mit den richtigen Zahlen in der Küchenschublade, oder es liegt ein fertiges Manuskript im Nachttisch (Martin Suter: Lila, lila!). Schlimmer: Ein Wahnsinniger hat Gift in den Salzstreuer gemischt, Rasierklingen zwischen die Bodendielen gesteckt, ein Stromkabel mit der Badewanne verbunden…
Bis jetzt ging es immer gut. Nach zwei Tagen hat man sich an den Geruch gewöhnt, die biederen Möbel, den rutschenden Flickenteppich und an die Suppentassen mit Goldrand, die man nie kaufen würde. Nun überwiegt der Urlaub – und zerrinnt. Täglich. Wenn wir dann zum Aufbruch rüsten, hängen wir schon ein Bisschen an unserem Feriendomizil. Es ist wie einen bequemen Mietwagen, an den man sich gewöhnt hat, zurückzugeben.
Und komisch: Selbst für Rentner, auf die keine Arbeitgeberzumutungen und ein umtriebiges Büro warten, geht ein Urlaub spürbar zu Ende. Man kennt das deprimierende Gefühl noch von früher. So alt kann man gar nicht werden, um das zu vergessen.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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