Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Ist Urlaub eine Periode, ein Zustand, ein Ereignis, eine Tätigkeit? Will man ausspannen, sich erholen oder lieber etwas erleben? In den Bergen, am Meer, in der Wüste, in Eis und Schnee? Wo es nichts topographisch oder meteorologisch Auffallendes gibt, wurden zum Ausgleich räumlicher Disparitäten in großer Zahl Kurkliniken der Versicherungsträger errichtet, denken Sie an die früheren Zonenrandgebiete. Von solchen zähen Umgebungen hieß es, dass allein schon die Luftveränderung eine heilende Wirkung bringe.
Als unausrottbare Umschreibung zählt die Formel „seine Seele baumeln lassen“. Da würde uns interessieren, wie die christlichen Kirchen dazu stehen, wenn wir unser von Gott eingehauchtes Wesen sich selbst überlassen. Hat der Leib dann freie Bahn und darf allen Anfechtungen schadlos nachgeben, solange die Seele irgendwo herumhängt? Oder ist das sogar gefährlich, weil man nicht sicher sein kann, dass sie nach dem Gebaumel wieder verlässlich zu uns zurückfindet und sich nicht auf Nimmerwiedersehen – bereits ins Jenseits – verabschiedet? Muss man deshalb Mitreisende wie auf einen Toilettenfehler darauf aufmerksam machen: „Gnädige Frau, Ihre Seele baumelt wohl ein wenig“? Und ein galanter Eroberer, würde er diese Situation vielleicht sogar ausnutzen? Also nicht anbändeln, sondern anbaumeln und die eigene Seele im Gleichklang harmonisch mitschwingen lassen?
Angeblich hat sich Mitte der 1970er Jahre eine österreichische Touristikagentur bei Tucholsky bedient und diese unausrottbare Phrase geprägt. Inzwischen gehört sie in die Umgebung der esoterischen Erweckungslehren, zum Standard bei Schlammbädern, Zupfmassagen, Lichtarbeit und Ayurveda in der Beauty-Lounge ambitionierter Wellnesshotels.
Aber seien wir milde. Sprache ist verräterisch: Stramm stehen, sich am Riemen reißen, Arschbacken zusammenkneifen heißt es bei den Exerzitien des Militärs. Dort geht es um Disziplin und Haltung, um Unterordnung und Marschtritt. Da klingt diese schlappe Alternative doch wie eine Art pazifistische Wehrkraftzersetzung. Also gar nicht so unsympathisch.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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