Gespannt haben wir das neue Buch „Ein Haus für viele Sommer“ des deutschen Schriftstellers und Kolumnisten Axel Hacke erwartet, das am 8. März 2022 erschienen ist.
Anhand eines italienischen Insel-Bergdorfes hat er sich mit den Themen Urlaub und Ferienhaus sowie dem Verhältnis zwischen (Langzeit-)Gast und Einheimischen aus jahrelanger, eigener Anschauung auseinandergesetzt.
In seinem neuen Buch erzählt er facettenreich von seinem ganz persönlichen Urlaubsabenteuer, unter anderem von der schwierigen Kunst des „dolce far niente“.
Vergnüglich, immer präzise, bisweilen auch nachdenklich beschreibt Axel Hacke, was das eigene Ferienhaus in der Ferne an Erlebnissen und Herausforderungen mit sich bringt; noch viel mehr aber vermittelt er uns, was passiert, wenn wir aufhören, uns lediglich als passiven Teil einer „Erholungskulisse“ zu verstehen.
Herr Hacke, in „Ein Haus für viele Sommer“ lassen Sie die Leser:innen Ihnen quasi beim Urlaub machen über die Schulter schauen. Wobei „Urlaub machen“ vielleicht die falsche Formulierung ist … schließlich sind Sie ja Ferienhausbesitzer. Oder, wie Sie selbst an einer Stelle schreiben: Der Gedanke an „Ferien von den Ferien“ tauchte über die Jahre durchaus immer mal wieder auf. Bereut haben Sie aber ganz offensichtlich nichts?
Axel Hacke: Nein, eigentlich wirklich nie. Wir waren zwar manchmal am Verzweifeln, wenn wir ankamen und entdeckten, dass es ins Haus geregnet hatte, dass es erst mal unbewohnbar war und wir uns ein Hotel suchen mussten. Aber über das Hotel haben wir dann neue Leute kennengelernt, haben uns mit den Besitzer:innen angefreundet, dürfen bis heute den Pool dort benutzen, die jüngste Tochter hat da Schwimmen gelernt. Also: Aus mancher Krise ist immer was Schönes und Neues geworden.
Aber klar ist: Ferien in so einem alten Haus, das ist was anderes als Ferien in einem Resort. Anstrengender, aber auch viel erfüllender. Es geht ja auch nicht wirklich nur um Ferien. So ein altes Haus ist nicht einfach ein Ferienhaus, dazu ist es zu kompliziert und schwierig. Es geht um mehr, um so was wie eine Aufgabe.
Öl auf Leinwand. Foto: Andreas Pauly
Öl auf Leinwand. Foto: Hans Günter Numberger
Öl auf Papier auf Karton. Foto: Andreas Pauly
Im Nachwort zum Buch führen Sie aus, dass der Torre – das seit Jahrzehnten im Familienbesitz befindliche Ferienhaus – unverhofft ein wichtiger Teil Ihres Lebens geworden ist. Explizit danken Sie dort auch Ihrer Frau; denn erst durch Sie hätten Sie den Ort selbst verstehen gelernt, an dem Sie anfangs nur Ferien machen wollten. Sind also der respektvolle Umgang mit Orten – gleichermaßen ihren Menschen und Kulturen – und das tiefe Eintauchen in der Rückbetrachtung die wahren Früchte Ihrer jahrzehntelangen Annäherung?
Axel Hacke: Das ist ja das tiefere, eigentliche Thema des Buches. Ich habe anfangs Ferien wie üblich machen wollen, weil ich nichts anderes kannte. Aber durch meine Frau, die schon seit ihrer Kindheit hierher fuhr und quasi im Dorf aufwuchs, habe ich begriffen, welche Dimension das hat: dass man über das Haus und das Dorf und die Sprache noch mal eine ganz andere Sicht auch auf das eigene Leben bekommt. Das ist etwas anderes als handelsüblicher Urlaub, das ist die Entdeckung einer weiteren Dimension des Lebens.
Und natürlich sieht man bald die Tiefen der Geschichte des Ortes. Der ist dann nicht mehr bloß eine Kulisse für die eigene Erholung, sondern sehr viel mehr. Ich glaube, der Respekt für den Ort ist nicht bloß eine Frucht unserer Zeit im Dorf, sondern im Gegenteil die Voraussetzung dafür. Wenn Sie diesen Respekt nicht haben, dann können Sie da zwar immer noch ein Haus haben. Aber Sie werden nichts wirklich verstehen, Sie werden nicht einmal ein Viertel von dem erleben, was Sie erleben könnten.
Man kann wohl sagen, dass Sie dort über die Jahrzehnte Wurzeln geschlagen, eine Art zweite Heimat gefunden haben. Was bedeuten Ihnen Begriffe wie Sesshaftigkeit und Heimat?
Axel Hacke: Also, ich bin ja ein sehr treuer Mensch, ganz generell. Ich bin seit mehr als dreißig Jahren mit derselben Frau verheiratet, habe seit 1990 Antje Kunstmann als Verlegerin, wohne seit 28 Jahren in derselben Wohnung, habe seit 25 Jahren denselben Agenten, schreibe seit dreißig Jahren Kolumnen im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Und ich fahre eben seit dreißig Jahren in das immer selbe Dorf in Italien. Ich kann nicht anders. Mich interessiert, was in der Tiefe einer Beziehung entsteht, nicht an der Oberfläche.
Öl auf Leinwand. Foto: Hans Günter Numberger
An einer Stelle Ihres Buchs sinnieren Sie, ob Sie wirklich die ganze Welt gesehen hätten, wenn Sie das Dorf nicht gesehen hätten. Wenn Sie also eben nicht per Zufall und Liebe langfristig an exakt diesen einen, magischen Ort „gebunden“ gewesen wären. Denn, so weiter: „Was man erlebt, ist immer weniger als das, was man verpasst hat“.
Hieße das, wenn man es denn als Anregung an die Leserschaft verstanden wissen wollte, dass wir unser vermeintliches Glück viel zu häufig über den Faktor Quantität definieren?
Bei mir klingt hier immer noch Ihre Einschätzung zum Thema „Nichtstun“ nach… viele Reisende würden die Rastlosigkeit ihres durchgetakteten Arbeitsalltags im Urlaub einfach nur in anderer Form fortsetzen, wie Sie anmerken.
Axel Hacke: Wir wollen nichts verpassen, weil wir Tag für Tag mit neuen Möglichkeiten überschwemmt werden. Wir wollen am liebsten alles haben und vergessen darüber manchmal das, was wir eben haben und womit wir uns vielleicht auf eine tiefere Weise auseinandersetzen sollten, statt immer mehr anzuhäufen, nach immer neuen Kicks zu suchen.
Mir bringt eine Woche auf den Malediven nicht so viel. Was ich da erfahre, kann ich wahrscheinlich auch lesen oder mir erzählen lassen. Aber wenn ich über Jahrzehnte in ein bestimmtes Dorf fahre, dann lerne ich die Menschen dort kennen, ihre Schicksale, ihre Art, das Leben zu betrachten. Ich lerne über ein eigenes Haus auch die Mühen des Alltags in einem anderen Land kennen, auch wenn das manchmal lästig ist. Und das macht mein Leben sehr viel reicher als ein, zwei Wochen in einem Resort irgendwo.
Fiktiv gefragt, da Sie ja nun mal nicht ganz frei in der Wahl ihres Urlaubs sind: welche Orte, welche Art Urlaub hätten Ihnen wohl auch noch entsprochen?
Axel Hacke: Na ja, ich bin jetzt etwas älter, auch die jüngste Tochter hat Abitur und geht aus dem Haus. Wir machen keine Ferien mit kleinen Kindern mehr, höchstens mit den Enkeln, und das wird vielleicht bedeuten, dass wir einerseits noch mehr Zeit in unserem Haus verbringen. Aber anderseits können wir auch mal ein paar Wochen einfach herumfahren in Italien, Frankreich, der Welt. Und das werden wir auch tun. Ist das dann Urlaub? Ich weiß nicht. Ich bin Schriftsteller, ich habe meine Arbeit immer dabei, sitze oft vormittags im Hotel und schreibe. Bei mir sind Urlaub und Arbeit nicht so komplett getrennt.
Öl auf Papier. Foto: Hans Günter Numberger
Wenn Sie eine Prognose wagen, wie sich der „unbändige Tourismus“ in Zeiten von Nachhaltigkeits- und Klimadiskussion weiterentwickelt – welche Hoffnung sehen Sie?
Axel Hacke: Keine Ahnung, ich bin kein Tourismus-Experte, nicht gut in Prognosen und ohnehin eher Pessimist. Sie sehen ja, was in Venedig passiert zum Beispiel, besser ist da nichts geworden, im Grunde ist es eine Tragödie: dieser Tourismus, der nichts wirklich wissen will, an nichts tiefer interessiert ist außer am Selfie vor San Marco. Das klingt jetzt vielleicht überheblich, aber was soll man machen? Für viele ist es bestimmt ein großes Erlebnis, aber es zerstört doch auch so viel.
Die Gier steht immer obenan, wie soll man dagegen ankommen? Und wie soll man das den Leuten vorwerfen, die davon leben? Es können ja auch nicht alle Leute irgendwo ein Ferienhaus haben – oder wenn doch: Wohin führt das dann? Es gibt im Süden Dörfer, die im Winter tot sind, da ist kein Einwohner mehr, alles steht leer, weil die Leute nur am Wochenende oder im Urlaub kommen, um ihre Häuser zu bewohnen. Und ist das auf Sylt so viel anders?
Welchen Stellenwert hat Architektur in Ihrem Leben? Gibt es Bauten, die Sie verblüfft und nachhaltig beindruckt haben?
Axel Hacke: Architektur bedeutet schon familiär einiges bei uns. Mein Schwiegervater ist Architekt, meine Schwägerin, mein ältester Sohn auch. Meine Frau nicht, aber die hat trotzdem ein riesiges Wissen und ein tolles Gefühl dafür. Darüber wird viel geredet, ich bin von allen der mit der geringsten Ahnung. Mir ist das auch nicht in die Wiege gelegt worden, mein Elternhaus war anders, kleinbürgerlicher in seiner ganzen Weltsicht. Und ich habe ja auch selbst nie ein Haus gebaut, in München wohne ich zur Miete.
Aber ich habe gelernt, mich von der Magie gewisser Räume einfangen zu lassen, von den gotischen Kathedralen in Frankreich, vom genialen Treppenhaus der Alten Pinakothek in München, von dem Saal im Brandhorst-Museum in München, in dem Cy Twomblys Lepanto-Zyklus hängt. Und von Stadträumen wie der hinreißenden Piazza vor dem Dom von Syrakus oder der Piazza Navona in Rom. Dass Menschen so etwas denken, sich vorstellen und dann schaffen können, das haut mich oft um.
Und, in Bezug auf Ihr eigenes Ferienhaus, wie gut lebt es sich im Unperfekten, im Gewachsenen?
Axel Hacke: Das ist großartig, wenn auch manchmal anstrengend. Wir haben schon viel geflucht, aber letztlich ist so ein altes Haus mit seinen Geheimnissen, seiner Geschichte, den Unwägbarkeiten und einfach auch der Aura etwas enorm die Phantasie Anregendes. Das alte Haus ist nicht einfach ein Haus, es ist für uns alle eine Art Familienmitglied, ein seltsamer alter Onkel, den alle lieben und der ein paar Altersschwächen hat, die halt mühsam sein können. Aber das alles ist für einen Schriftsteller natürlich super.
Da Sie seit vielen Jahren auf Ihren Lesereisen sicher so manches Hotel gesehen haben: Gibt es Dinge, die dort aus Ihrer Sicht unverzichtbar sind? Oder Umstände, die Sie schier in den Wahnsinn treiben?
Axel Hacke: Ich liebe Hotels eigentlich, und ich mag auch den Luxus dort. Ich mag die Grand Hotels, die eine Geschichte haben, das Parkhotel in Bremen, den Europäischen Hof in Heidelberg, den Nassauer Hof in Wiesbaden, aber auch so neu erfundene wie den Speicher 7 in Mannheim, wo in einem alten Hafenspeicher ein unvergleichliches Hotel entstanden ist. Was mich wirklich immer wieder enttäuscht, ist die Seelenlosigkeit teurer Luxushotels, die zu den großen Ketten gehören. Da war ich vielleicht schon zwanzig Mal, und beim 21. Einchecken werde ich vom Rezeptionisten wieder gefragt, ob ich schon mal hier gewohnt hätte.
Sie schreiben in „Ein Haus für viele Sommer“, dass Sie gewiss seien, als Nicht-Einheimischer niemals Teil des Ortes zu werden. Das klingt realistisch. Und doch ein wenig traurig. Etwas später nehmen Sie uns Leser:innen zu Ihrer ersten Olivenernte mit und lassen uns an den euphorischen Gefühlen teilhaben, die diese – allen Strapazen zum Trotz – erzeugt. Kann man sagen, dass diese Erfahrungen sinnbildlich für die Höhen und Tiefen eines „urlaubenden“ Ferienhausbesitzers stehen könnten?
Axel Hacke: Nein, ich finde das nicht traurig. Es wäre doch eher schlimm, wenn man glauben würde, dass man ein Teil des Ortes würde wie ein Einheimischer. Das ist schlecht möglich, und warum auch? Ich kenne Leute, die sich das gerne selbst suggerieren, einem immerzu erzählen, wie gut sie den Bürgermeister kennen, „ach, der Gianni, gestern sagt er noch zu mir …“ Das ist ein bisschen albern. Das Interessante an unserem Dorf ist die Vielschichtigkeit der Beziehungen, die alten Einheimischen, die nur ihr Dorf kennen, die jungen Leute, die inzwischen auch die ganze Welt gesehen haben, die Tourist:innen – und dann Leute wie wir, die auch zum Dorf gehören, aber eben auf andere Weise.
Öl auf Leinwand. Foto: Hans Günter Numberger
Ich bin auch in Italien der, der ich sonst bin, und manchmal ist ein bisschen Distanz vielleicht nicht schlecht. Die Olivenernte – da hat sich ein alter Traum erfüllt. Ich habe als Kind meine Sommerferien immer in Westfalen auf dem Bauernhof meines Patenonkels verbracht. Seitdem wollte ich immer in einem Winkel meines Herzens auf dem Land sein und etwas ernten können. Das hätten auch Kirschen im Chiemgau oder Äpfel am Rand des Elms bei Braunschweig sein können, wo ich herkomme. Aber Oliven in Italien sind halt doch verdammt viel schöner.
Öl auf Leinwand. Foto: Hans Günter Numberger
Gab es Entscheidungen im Zusammenhang mit Ihrer Urlaubsimmobilie, von denen Sie potentiellen Ferienhausbesitzer:innen dringend abraten möchten? Oder, anders herum gefragt:
Welche Mutmacher sprechen aus Ihrer Sicht unbedingt dafür, das Wagnis Ferienhaus einzugehen – trotz aller möglichen Widrigkeiten und der anfänglichen Naivität eines Amateurs?
Axel Hacke: Man muss halt wissen, was man tut. Sie sagen ja ganz richtig, dass es sich um ein Wagnis handelt, und dafür muss man sich schon bewusst entscheiden, für ein Abenteuer, für etwas nicht ganz Planbares, für etwas, das nicht nur für drei Wochen, sondern möglicherweise für Jahrzehnte Einfluss auf das eigene Leben hat, vielleicht für immer.
Ein Ferienhaus ist was anderes als ein Hotel, aber das ist eh klar, es ist banal, das zu sagen. Man muss das schon wirklich wollen, man muss nicht nur das Haus lieben, sondern auch den Ort, man sollte die Sprache lernen, sich für die Menschen dort wirklich interessieren und etwas verstehen wollen. Man braucht den Respekt und die Neugier auf etwas Anderes, das einem bleiben wird, auf einen tieferen Zugang, der einen aber enorm bereichern wird. Und man sollte wissen, dass es immer mehr Geld kostet, als man anfangs dachte. Und auch mehr Arbeit. Eigentlich beides.
Ich wusste übrigens nicht, was da auf mich zu kam. Ich habe das Haus ja nicht gekauft, ich habe mich auch nie dafür entschieden. Ich habe mich halt in eine Frau verliebt, deren Vater das Haus hatte, und nun haben wir es. Es ging gar nicht anders, es war einfach eines Tages in meinem Leben. Das alte Haus ist ein Familienmitglied, wie gesagt.
Axel Hacke lebt als Schriftsteller und Kolumnist des Süddeutsche Zeitung Magazins in München. Er gehört zu den bekanntesten Autoren Deutschlands, seine Bücher werden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
(Kunstmann Verlag, 2022)
Illustrationen: Sämtliche Bilder stammen von Thomas Weczerek und wurden mit freundlicher Genehmigung dem Buch „Thomas Weczerek. Bilder und Plastiken“ entnommen.
Axel Hacke: „Das Beste aus aller Welt“
Kontroverse – Ich will (k)ein Ferienhaus!
Interview: Ulrich Stefan Knoll, März 2022
Ein Kommentar
Durch Zufall las ich im "Lesetipp" in der Badischen Zeitung, Ausgabe Kreis Emmendingen vom Samstag. 22. Juli d.J. von der Herausgabe Ihres Buches "Ein Haus für viele Sommer". Seit 1986 verbringe ich meinen Sommerurlaub in CAPOLIVERI ! Dieses Jahr war ich schon im -leider total verregneten Mai, mit meinem Enkelsohn und seiner Freundin dort; er wollte unbedingt sehen u. erleben, wo ich bis 2022 stets 3 Wochen, jeweils im August, glücklich war. Beim Lesen des Artikels nun drängt es mich nahezu, Ihnen meine Freude über das gleiche Empfinden, die gleiche Erfahrung mitzuteilen. Unser Urlaubsquartier war (ist) stets auf dem Weg zum Meer im Pinienhang von Badisugarello. Ich wünsche Ihnen weiterhin eine glückliche, erlebnis- wie ideenreiche Zeit auf Elba! Man muss einfach dort gewesen sein! Arrivederci!