Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Immer wieder wird von Lesern die Frage gestellt, ob das viele Reisen unser Leben nicht substanziell verändert hat, ob wir unsere Nachbarn in Südtirol, Holland und auf den Seychellen jetzt nicht besser verstehen? Außerdem kurbelten Reisen doch den Konsum an, wir verlangen jetzt auch Sushi in Wattenscheid und wissen, dass im Napa Valley Weine produziert werden und keine Handtaschen. Da ist sicher etwas dran. Man spürt unseren polyglotten Umgang schon an unserer Sprache. Ohne Englisch zum Beispiel können Sie heute kein Unternehmen mehr leiten. Hier hat die Entwicklung an zwei Enden begonnen. Von unten comitten sich die Vertreter in ihren meetings bei einem round table und vereinbaren die steps, da es ja nicht um peanuts geht und ihre Abteilung nicht länger die cashcow des Unternehmens sein kann. Von oben antwortet das Haus, indem es alle Bereiche und alle Mitarbeiter mit international geläufigen Begriffen auszeichnet. Das verlangt zunächst genaues Hinhören, wenn der Kollege Eberle vom sales sich in seinem Schwäbisch als key accounter vorstellt. Gemach, das sind Anfangsprobleme.
Französisch, immer noch die Sprache der Diplomaten, ist dagegen aus der Mode gekommen. Beim Reitsport, in Spielbanken oder in traditionellen Konditoreien und Parfümerien hört man bisweilen noch Nasales bei den Bestellungen. Spanisch konnte sich nicht durchsetzen. Diese zwischen Zunge und Lippen gelispelten Laute vermeidet man tunlichst, wenn man seine tapas bestellt.
Kommen wir zum Gewinner des Sprachimports. Eindeutig Italienisch! Es hat nichts mit Pisa zu tun, obwohl man bei der Bildungsbewertung ruhig auch mal an die ältere Generation denken sollte. Kein Architekt, Rechtsanwalt oder Apotheker, der nicht den unentbehrlichen Jargon des Prosecco-Gürtels beherrscht! Damit kann man zeigen, dass man dazugehört. Früher brauchte man eine Alfa, um die ragazze von nebenan zu beeindrucken. Heute bestellt man due cappucci! Dass die kellnernde Aushilfe das als zwei Cappuccinos weitergibt, ist Anlass zu einer tischübergreifenden Debatte. Hier lässt sich Boden gutmachen: Non ci credo, non è possibile!
Ja, ich kann das bestätigen. Das Reisen hat unsere Kultur nachhaltig verändert. Es muss kein schlechtes Omen sein, dass sie an der Waldorfschule Russisch lehren.
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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