Architektonische Wanderungen durch den Bregenzerwald (Teil 2)
Im zweiten Teil der Reihe nehmen wir Sie mit auf eine Reise durch den Hinteren Bregenzerwald und stellen kleine Architekturschmuckstücke in Tälern und auf Bergen zwischen Schwarzenberg und der Kanisfluh vor.
Unsere Reise in den „hinteren“ Bregenzerwald starten wir in der malerisch gelegenen Gemeinde Schwarzenberg. Die Streusiedlung schmiegt sich an die östliche Seite des Bödele und eröffnet großartige Ausblicke über den Vorderen und Hinteren Bregenzerwald.


Am Dorfplatz reihen sich prächtige Holzhäuser auf: Hotel, Gasthaus und typische Wälderhäuser formen hier eine besondere Ortsmitte. Wer sich für den Ausflug mit gutem Bergkäse versorgen möchte, kauft diesen am besten im Käsladen Vögel ein. Perfekte Entschleunigung in einem „Supermarkt“ des letzten Jahrhunderts. Und der Käse ist fantastisch.



Nur ein paar Minuten Fußweg vom Dorfplatz entfernt liegt das Angelika Kauffmann Museum, das 2007 von Dietrich Untertrifaller Architekten entworfen wurde. Angelika Kauffmann war eine bedeutende Porträtmalerin im 18. Jahrhundert und lebte einige Jahre in Schwarzenberg. Das Museum befindet sich in einem über 450 Jahre alten Wälderhaus. Wenn das seitlich platzierte, große Schiebetor offen steht, ist auch das Museum geöffnet. Dann lässt sich der präzise architektonische Eingriff gut erkennen. Im Wohnteil des Hauses befindet sich das Heimatmuseum, und im ehemals wirtschaftlichen Teil bauten die Architekten als „Haus-in-Haus-Konstruktion“ den Ausstellungssaal ein. Der Eingangsbereich öffnet sich bis hoch zum First: ein imposantes Entrée. Und ein gutes Beispiel dafür, wie im Bregenzerwald alte Handwerkstradition fortgeführt und mit zeitgemäßer Architektur und heutiger Handwerkskunst weitergebaut wird.
Dass das Handwerk eine Hauptrolle im Bregenzerwald spielt, spürt, sieht und fühlt man in jedem Winkel. Der Werkraum Bregenzerwald spiegelt dies auf einzigartige Weise wider.

1999 gründeten Handwerksbetriebe einen Verein zur Förderung des Handwerks und der Baukultur. Vom Tischler, Zimmermann, Maurer, Elektriker bis hin zu Goldschmieden, Malern und Ofenbauern sind derzeit circa 100 Betriebe Mitglied und zeigen alle Facetten des Handwerks. Seit 2013 gibt es dafür das Werkraum Haus in Adelsbuch. Kein geringer als Pritzker-Preisträger Peter Zumthor hat diesen Ausstellungsraum entworfen. Gebaut haben die Handwerker das große, lichtdurchflutete Gebäude natürlich selbst. Seitdem gibt es jährlich wechselnde Ausstellungen, die auf immer wieder inspirierende Weise das Handwerk und die hohe Kunst des handwerklichen Arbeitens veranschaulichen. Das Werkraum Haus ist schon von weitem durch sein schwarzes, weit auskragendes Dach sichtbar. Das Dachtragwerk besteht aus einem gigantischem „Holzrost“ und schwebt in 5,80 Metern Höhe über dem schwarzen, glänzend polierten Terrazzoboden. Nahezu ringsherum ermöglicht eine „raumhohe“ Verglasung den Einblick in den Innenraum. Das Haus wird so zu einem Schaufenster des Handwerks.

Unser nächstes Ziel können wir vom rückwärtigen Bereich schon sehen: das Sonderdach erhebt sich steil nach oben. Ein Bergrücken samt Hochplateau, von dem bei guter Thermik zahlreiche Paraglider starten und durch die Lüfte schweben.
Wir fahren weiter in den Ort Bezau. Bevor wir hoch auf das Sonderdach wandern, empfiehlt sich ein Rundgang durch den Ort. In jeder Gemeinde gibt es einen „Umgang“ der einen zu den besonderen Bauwerken führt. Diesen „Umgang“ sowie 22 weitere findet man auf der vorbildlichen Webseite von Tourismus Bregenzerwald oder kann diese in gedruckter Form erwerben.
Dort werden historische und zeitgenössische Bauwerke kurz und gut beschrieben – ein toller Einblick in die Baukultur. Der Spaziergang durch Bezau ist das ideale Aufwärmprogramm für den Aufstieg zum Bergmassiv Niedere.
Dazu parken wir an der Talstation Bezau und haben im Rucksack Brot, Käse, Manner Schnitten und ausreichend Wasser. Die Wanderung hoch zur Bergstation Baumgartenhöhe und über den Panoramaweg auf dem Plateau Niedere dauert, ohne Pausen, circa viereinhalb Stunden. Der Weg geht recht gleichmäßig den Berg hoch, zuerst durch den Wald und später über Almwiesen. Ein abwechslungsreicher Wanderweg, dessen Höhepunkt der Rundweg auf dem Hochplateau ist. Von hier eröffnen sich tolle Ausblicke in die Täler, auf die Gipfel des Bregenzerwaldes und bis zum Bodensee.


Unser architektonisches Ziel ist die Bergkapelle Niedere. Der hölzerne Bau, mittlerweile silbergrau im Sonnenlicht schimmernd, steht ikonisch an einer Hangkante. Von hier fällt das Gelände erst flach und dann steil ab – man befindet sich quasi zwischen Himmel und Erde. Cukrowicz Nachbaur Architekten haben den privat organisierten Architekturwettbewerb gewonnen, den die Familie Feuerstein ausgelobt hatte. Die Familie hatte ein Baby verloren und versprach, eine Kapelle zu errichten, sollte ihnen ein gesundes Kind geboren werden. Statt eines Preisgeldes gab es drei Laib Käse aus der eigenen Sennerei.


Mit Hilfe von Freunden der Familie und vielen an der Planung Beteiligten wurde die Kapelle von Hand als vertikaler Strickbau errichtet. Die Holzkapelle ruht auf einem Sockel aus Steinen, die auf der gesamten Alpfläche zusammengesammelt wurden. Die Fichten stammen aus dem eigenen Wald. Aus Holzelementen mit einem Profil von nur 10 mal 20 Zentimetern wurden Außenwand, Dach und Boden errichtet. „Es gibt keine Verkleidungsteile: alles ist außen und innen sichtbar“, erklären die Architekten. Länge, Breite und Dachneigung stehen in einem perfekten Verhältnis zueinander. Der Baukörper strahlt eine selbstverständliche Ruhe aus, und mein Herzschlag verlangsamt sich immer, wenn ich die Kapelle sehe. Wenn sich die Tür hinter einem schließt, herrscht im Innenraum eine absolute Ruhe. Ein Ort der Einkehr – ideal, um zu sich zu finden, ins Zwiegespräch mit sich selbst zu gehen oder ein Gebet zu sprechen. Nichts lenkt hier ab. Ein Glasschlitz in Wand und Dach lässt die Altarwand schweben, und das seitlich einfallende Licht taucht den hölzernen Raum in ein sanftes, gedämpftes Licht.
Auf einem der umliegenden großen Steine findet sich ein schönes Plätzchen für die Rast. Bei gutem Wetter lassen sich die Paraglider beobachten, die von hier aus mit schnellen Schritten ihren lautlosen Flug starten.

Wer keine Verpflegung dabei hat, kann den Berggasthof der Familie Feuerstein ansteuern und hier eine gute Jause genießen. Gestärkt machen wir uns auf die letzten Meter zur Bergstation und schweben mit der Gondel hinunter nach Bezau. Wer länger als drei Tage hier verbringt, bekommt eine Gästekarte, mit der die Lifte im Sommer kostenlos genutzt werden können. Busfahrten und der Eintritt in die Freibäder sind ebenfalls frei.
Nach Bezau sollten sie übrigens noch einmal wiederkommen und ein besonderes Augenmerk und etwas mehr Zeit für einen Besuch im Museum Bezau einplanen, das bereits seit über 100 Jahren existiert. Beheimatet ist es in einem typischen Bauernhaus aus dem Jahr 1555. Seit Mai 2024 gibt es einen Anbau, der mehr Platz für den Empfangsbereich und einen zeitgemäßen Museumsbetrieb schafft, aber auch zusätzliche Flächen für neue Ausstellungen bereitstellt.



Die Architekten Markus Innauer und Sven Matt, deren Büro in Bezau beheimatet ist, wurden mit der Erweiterung beauftragt. Wie Sie es schon vermuten: Auch hier spielt das Handwerk eine große Rolle – ebenso wie der Respekt für das Bestandsgebäude. Innauer Matt bauten in gleicher Kubatur weiter und verwoben geschickt das Alte mit dem Neuen. Sie spielten mit dem Kontrast des alten dunklen Holzes und der neuen, hellen Vertäfelung aus Weißtanne, mit den kleinen Zimmern des Altbaus und den weiten Räumen des neuen Gebäudeteils. Dem Schindelkleid des Altbaus steht eine modern interpretierte Boden-Deckel-Schalung gegenüber, deren gestalterisches Motiv in das grafische Erscheinungsbild des Museums übernommen wurde. Die Räume im Obergeschoss werden geschickt über Dachflächenfenster beleuchtet. Ein weißer Holzschirm verteilt das Licht gleichmäßig im Raum und schafft eine besondere Atmosphäre. Ein gut durchdachtes und handwerklich beeindruckend ausgeführtes Haus. Wer bei Heimatmuseum an Verstaubtes aus den letzten Jahrhunderten denkt und dankend abwinkt, sollte sich auf die toll erzählte und gezeigte Geschichte dieses Museums einlassen. Hier jodelt nichts, wird nicht altbacken erklärt, sondern erfrischend und modern die Geschichte des Bregenzerwaldes, das Leben in früheren Zeiten und vor allem die handwerkenden Frauen in den Fokus geschoben. Nach dem Besuch versteht man noch besser, was diese besondere Kulturlandschaft ausmacht und warum hier Tradition und Moderne gut zusammenpassen und nicht nur hohle Marketingphrasen sind.
Nun geht es weiter nach Mellau. Die Berge werden höher, felsiger und schroffer. Und über dem Ort thront die Kanisfluh, ein imposanter Bergstock, der ein Fixpunkt in der hiesigen Bergwelt ist und als Wahrzeichen des Bregenzerwaldes gilt. Von Mellau aus ragt die Felswand steil nach oben, von der Gegenseite hingegen steigen Wissen sanft an und führen zum Gipfel, der auf 2.044 Metern Seehöhe liegt. Eine Wanderung, die sich lohnt und mit der man diesem mystischen Berg näher kommt.

Wenn wir in einem Hotel oder einer Ferienwohnung in Mellau übernachten, gehen wir nach dem Frühstück oftmals eine kleine Runde. Dann folgen wir dem Mellenbach und steigen auf zur Doseggalpe. Meist treffen wir auf dieser kleinen Runde niemanden. Die Luft ist frisch und im Frühling und Sommer duftet es nach Heu. Der Herbst verzaubert den Laubwald in ein prachtvolles, buntes Blättermeer, immer begleitet vom leichten Rauschen des Gebirgsbachs.
Direkt am Ortsrand steht die Feuerwehr und Bergrettung Mellau, die von Dietrich Untertrifaller Architekten geplant und 2005 fertiggestellt wurde.



Ein funktionaler Zweckbau mit architektonischer Klasse. Geschickt nutzten die Planer einen Höhenunterschied im Gelände: unten ein Betonsockel, in dem die Fahrzeughalle, Werkstätten und Umkleiden ihren Platz finden und oben ein Holzbau für die Einsatzzentrale, Büros und Übungsräume. Diesen Teil betritt man über eine Brücke von der oben gelegenen Straße. Durch die getrennten Zugänglichkeiten kommt sich bei einem Rettungseinsatz niemand in die Quere. Die Besonderheit des Gebäudes liegt im Zusammenspiel aus einer seitlich komplett geschlossenen Fassade, die sich an den Längsseiten im Obergeschoss bodentief über die gesamte Länge öffnet. Funktion plus Architektur plus Handwerk ergibt eine Baukultur, die einfach gut ist, mehr als seinen Zweck erfüllt und nicht nur eine Garage für Löschfahrzeuge bietet. Das Bauwerk wird Teil des gesellschaftlichen Lebens im Dorf.

Unterhalb der gewaltigen Kanisfluh gibt es eine weitere Kapelle – die Kapelle Am Wirmboden. Der Wirmboden ist ein Vorsäß. Was um Himmels willen ist ein Vorsäß, werden sich nun viele fragen? Die Milchwirtschaft verläuft im Bregenzerwald in drei Stufen. Im Winter sind die Kühe im Tal im Stall, werden im Frühjahr nicht direkt hoch auf die Alm getrieben, sondern legen einen Zwischenstopp quasi „auf halber Höhe“ ein und können hier frisches Gras finden, ehe es dann weiter hoch geht, wenn die dortigen Flächen schneefrei und in voller Pracht sind. Auf dem Rückweg im Herbst, das gleiche Spiel – wieder erfolgt ein Zwischenstopp. Diese „Zwischenstation“ ist das sogenannte Vorsäß, auf dessen Fläche einfach Ställe errichtet wurden – oft als einzelne Gebäude, manchmal aber auch als kleine Siedlungen, wie hier am Wirmboden. Die Bauern errichteten hier außerdem eine Kapelle. Leider wurde das Gotteshaus 2012 von einer Lawine weggerissen. Daher entschied man sich 2016, neu zu bauen. Den Auftrag bekam das Architekturbüro Innauer Matt. Die neue Kapelle steht nun inmitten der Hütten und misst circa 3 x 2 Meter im Inneren. Ihre Wände bestehen aus Stampfbeton mit grobkörnigem Kies, zudem wurden Felsbrocken aus der Umgebung in den Beton eingearbeitet. Wer sich die Steine fantasievoll anschaut, kann abstrakt geformte Tiere erkennen. Das geschindelte Dach hat mit den Jahren eine grau Farbe angenommen. Von außen wirkt sie rau, archaisch, robust und versucht so der steilen Wand der Kanisfluh entgegenzutreten. Durch eine schlichte Holztür mit darüberliegendem Holzstabwerk betritt man den Raum. Schlanke, hohe Sparren aus fein gewachsener Haselfichte bilden den Dachstuhl. Licht fällt diffus durch einen Lichtschlitz im Dach in den Innenraum und durch einen blau schimmernden Schlitz in der Giebelwand. Auf einem dicken Findling steht eine Kerze. Neben der Tür sind zwei Bretter als Bank eingelassen, um sich zu setzen, in Ruhe zu beten oder einfach in sich zu kehren. Zwischen den Sparren hängen Bilder verstorbener Familienmitglieder, die am Wirmboden eine Hütte hatten.
Einfach, bescheiden und zugleich kraftvoll, das zeichnet die beschriebenen Kapellen aus. Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt und verzichten auf jegliche Zurschaustellung religiöser Insignien und Macht, und genau das macht diese Räume besonders und einzigartig.
Apropos einzigartig: Sie werden schnell feststellen, dass die Zeit im Bregenzerwald ihre eigene Geschwindigkeit hat. Das macht den Urlaub hier besonders und noch ein Stück weit erholsamer als in anderen Regionen.
Genießen Sie Ihre Zeit im Bregenzerwald und entdecken Sie die Architektur, das Handwerk, die Landschaft und die Kulinarik. Alle beschriebenen Gebäude und Wanderwege sind nur ein kleiner Auszug – es gibt noch so viel mehr zu entdecken bei den Wälderinnen und Wäldern!

Hier finden Sie Teil 1 der Reise durch den Bregenzerwald.
Bildnachweise: Kapelle Vordere Niedere in Andelsbuch © Michael Meusburger / Bregenzerwald Tourismus (Titelbild), Schwarzenberg © Michael Meusburger / Bregenzerwald Tourismus (1) © Adolf Bereuter / Bregenzerwald Tourismus (2), Angelika Kauffmann Museum © Marion Hirschbühl / Angelika Kauffmann Museum (3) © Bruno Klomfar (4/5), Werkraum Bregenzerwald © Rupert Mühlbacher / Bregenzerwald Tourismus (6), Kirche und Kloster in Bezau © Emanuel Sutterlüty / Bezau Tourismus (7), Blick vom Baumgarten Richtung Reuthe und Bezau © Nora Fröhlich / Bregenzerwald Tourismus (8), Blick von Baumgarten auf den Bodensee © Ian Ehm / friendship.is (9), Kapelle Vordere Niedere in Andelsbuch © Michael Meusburger / Bregenzerwald Tourismus (10) © Kevin Faingnaert / Vorarlberg Tourismus (11), Bergstation Baumgarten, Seilbahn Bezau © Jana Sabo / friendship.is (12), Museum Bezau © Johannes Fink / Bregenzerwald Tourismus (13) © Dominic Kummer / Bregenzerwald Tourismus (14) © Julian Schmelzinger / Museum Bezau (15), Wandern in Mellau mit Blick auf die Kanisfluh © Nora Fröhlich / Bregenzerwald Tourismus (16), Feuerwehr Mellau © Bruno Klomfar (17/18/19), Kapelle Wirmboden Vorsäß © Nadine Lerho / Bregenzerwald Tourismus (20), Sonnenuntergang an der Kanisfluh © Michael Meusburger / Bregenzerwald Tourismus
URLAUBSARCHITEKTUR-Häuser im Bregenzerwald



















0 Kommentare