Harry Thaler im Interview: „Ich liebe Herausforderungen!“
Den Südtiroler Designer kennt seit seinem Pressed Chair eigentlich die ganze Welt. Wir haben ihn gefragt, was er am liebsten designen würde, warum Handwerk lohnt und wie es ihm und seiner Frau in der Rolle als Vermieter:innen geht.

Jan Hamer / Ulrich Stefan Knoll (URLAUBSARCHITEKTUR): Hallo Harry – schön, dass es klappt! Wo erreichen wir dich?
Harry Thaler: In meinem Studio in Lana. Da habe ich, gerade am Freitagnachmittag, genug Ruhe für ein ausführliches Gespräch.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Was uns besonders beeindruckt, ist die enorme Bandbreite deiner Arbeitsfelder – von Produkten über Interiors bis hinein in die Architektur selbst. Wie ist es denn dazu gekommen, wie sieht dein Werdegang aus?
Harry Thaler: Ich bin in Obermais bei Meran aufgewachsen. Als ich neun war, hat mich mein Nachbar, ein Goldschmied, erstmals in den Sommerferien zu sich ins Studio geholt – so bin ich auf den Geschmack gekommen. Der Nachbar hat mir damals also die Türen zu einer neuen Welt geöffnet. Nach der Schule habe ich mich dazu entschlossen, Goldschmied zu lernen und bin fünf Jahre in die Lehre gegangen.
Danach ging die Reise weiter nach Wien, kurz nach Sri Lanka und dann nach Pforzheim, einer Hochburg für Schmuck. Dort gibt es auch eine FH für Industriedesign. Das hat mich dazu bewegt, Produktdesign zu studieren. Ich wollte größere Sachen machen. Dafür musste ich das Abitur nachholen, das war dann in Rom. Von da aus bin ich nach Bozen auf die Design-Uni gegangen. Ich war da schon 27 und wollte das natürlich so schnell wie möglich durchrocken. Da bin ich aber acht Mal durch die Englischprüfung gefallen. Da habe ich meine Koffer gepackt und bin nach London …


Ulrich Stefan Knoll / URLAUBSARCHITEKTUR: Du hast also den Stier gleich bei den Hörnern gepackt …
Harry Thaler: Genau. Ein guter Freund von mir, Martino Gamper, der damals in der Design-Szene schon bekannt war, lebte seinerzeit in London. Ich habe ihn gefragt, ob er jemand zum Helfen braucht. Ich habe also die Aufnahmeprüfung am Royal College of Art gemacht und nebenher bei ihm gejobbt. In der Zeit haben wir dort beide unsere Studios gegründet und es entstand mein Entwurf des Pressed Chair. Der natürlich ein Glücksfall war. Hätte ich nicht Goldschmied gelernt, wäre der Stuhl allerdings wohl nicht geboren worden. Man weiß, wie man Metall biegt, wie man es presst.
Der Stuhl ging dann in Produktion, wurde in London präsentiert, ging auf die Messe nach Köln und wurde dort mit einem Preis auszeichnet. Daraufhin kam Nils Holger Moormann auf mich zu. So ging das alles los. Ab da kamen Aufträge, unter anderem ein Architekturauftrag, ein Auftrag für eine Brücke, einer für ein Fahrrad, Aufträge im Interiorbereich.
Für mich war es immer interessant, neue Sachen zu machen. Wenn jetzt ein Autohersteller auf mich zukäme, würde ich das sofort machen.
Weil mich so Sachen interessieren, man muss sich immer für neue Sachen einlesen – zum Beispiel beim Fahrrad. Das Pressed Bike entstand ja ziemlich ähnlich wie der Stuhl. Aber um diese Geometrie hinzukriegen – das Fahrrad hat ja zwei Dreiecke – das ist dann schon sehr spannend und herausfordernd. Da muss man sich erst mal reindenken. Ich liebe Herausforderungen!
Kürzlich habe ich einen Campingplatz entworfen. Und das Interior des Monti House – das neue Haus des Miramonti Hotels.





Ulrich Stefan Knoll (URLAUBSARCHITEKTUR): Das Miramonti gehört zum URLAUBSARCHITEKTUR-Netzwerk, Carmen und Klaus Alber sind schon länger Partner:innen. Ihr neues Haus wurde gerade kürzlich in der AD vorgestellt.
Harry Thaler: Ja, das Projekt geht jetzt seit drei Jahren. Und ich durfte alles von der Pike auf konzipieren und gestalten. Da ist fast gar nichts von der Stange, außer den Toiletten.
Wenn man mit Menschen wie Carmen und Klaus zusammenarbeitet, die die ganzen Details schätzen, dann entsteht auch eine tolle Arbeit. Ja. Ich habe zuvor schon kleine Sachen im Hotel gemacht, dies ist die erste größere Zusammenarbeit mit dem Hotel.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Müsst ihr dann noch mit Architekten zusammenarbeiten oder könnt ihr in Südtirol den Entwurf selbst einreichen?
Harry Thaler: Das muss auch bei uns ein Architekt stempeln. In dem Fall habe ich mit dem Architekturbüro zusammengearbeitet, das das Miramonti entworfen hat. Das funktionierte wunderbar. Man muss nur genau die Parameter abstecken, wer was genau macht.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Das ist eine beeindruckende Entwicklung. Man hat den Eindruck, dass deine Projekte immer größer und komplexer werden. Ich glaube ja, das nächste Projekt ist nicht ein Auto, sondern was Größeres.
Harry Thaler: Noch größer? Ein Kunde aus Brixen ist etwa auf mich zugekommen, weil er eine Tiefgarage für ein Hotel brauchte. Dann haben wir diesen Entwurf vorgeschlagen, nach dem Motto: Wie kann eine Garage anders aussehen?


Natürlich querdenkend, ich habe ja noch nie eine Garage gebaut … vielleicht sogar ein Vorteil gegenüber Architekt:innen, die zuerst über die Urbanistik und über die Statik nachdenken, ehe es der Entwurf kommt.
Ich gehe da ganz blauäugig ran. Und dann kommen halt solche Sachen dabei raus, weil ich es nicht verkrampft angehe.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Du sagtest vorhin, dass du immer noch sehr von deiner Erfahrung als Goldschmied profitierst. Wie hat das jetzt noch, bei dieser Größe und Dimension von Projekten, Einfluss auf deine Herangehensweise?
Harry Thaler: Ich glaube, wenn man ein Handwerk gelernt hat, hat man gleich schon viele Vorteile, weil man etwas mit den Händen selbst baut. Man geht die Materie und den Entwurf ganz anders an, weil man schon weiter ist als etwa die Student:innen, die ich unterrichte und die teilweise noch nie ein Handwerk gelernt haben.
Da versteht man bereits viele Prozesse, manchmal auch ganz banale Sachen.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Ich muss mich ja als bekennender Fan des Pressed Chair outen. In unseren eigenen Ferienwohnungen haben wir inzwischen nur noch den Pressed Chair.
Harry Thaler: Ah, echt?
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Zuerst hatten wir den Stuhl nur in einer Wohnung, dazu verschiedene andere Holzstühle. Die sind inzwischen alle kaputt. Deine Stühle haben auch nach sieben Jahren keine Macke, da ist nichts – auch die Oberfläche ist super, also ein genialer Stuhl. Auch mit dem Kunststoff-Fuß, keinerlei Probleme mit dem Dielenboden.
Harry Thaler: Danke. Ich selbst habe mir noch mit dem 3D-Drucker Füße gedruckt, auf denen ein runder Filz ist. Dann sind sie noch geräuschloser.


Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Themenwechsel. Wie kam es denn zum Pressed Bike? Ist das die Übertragung des Pressed Chair oder gab es da eine Anfrage an dich?
Harry Thaler: Das war schon eine Anfrage. In London hatte ich kein Auto, braucht man da ja auch nicht. Da entstand diese Idee aus den zwei Teilen, also den Rahmen wie ein Sandwich zu bauen. Zwei halbe Rohre, wie beim Pressed Chair. Mit zwei Rillen. Wenn man die zusammenlegt, ist es ein Rohr. Die Idee bei beiden Entwürfen war es, im flachen Zustand zu pressen. Das Tool ist eine Maschine, die dort einfräst, aber im Endeffekt ist es ein Rohr. Die Anfangsidee war es, das final nur zu verkleben. Das haben sich die Ingenieure nicht getraut, es wird also verklebt und dann punktgeschweißt.


Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Ich wollte gerade noch mal zum Thema Camping kommen – was genau hast du dort gemacht?
Harry Thaler: Das Projekt Live Merano Camping ist ein Bestandscamping, der neu ausgeschrieben wurde. Der neue Pächter hat mich gefragt, ob ich die Rezeption überarbeiten könne. Oder eigentlich nur die Theke. Da habe ich angeboten, auf eigene Investition ein Gesamtkonzept zu erstellen. Das wurde dann auch so umgesetzt. Interessant für mich waren auch die Details, etwa das Thema Straßenbelag. Dafür habe ich mit einem lokalen Unternehmen einen wasserdurchlässigen Asphalt entwickelt.
Mit dem gleichen Kunden entwickle ich gerade einen weiteren Campingplatz in der Nähe von Meran. Samt Hauptgebäude, Schwimmbecken, Spa, einem kleinen Bistro. Eine schöne Herausforderung war da das landscaping auf dem terrassierten Gelände.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Camping ist zwar nicht so ganz unsere Welt, aber definitiv eine spannende Designaufgabe – da alles einfacher und kleiner ist, muss man sich sehr genau mit den Essentials auseinandersetzen.
Harry Thaler: Genau.







Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Noch mal zurück zu dir. Mittlerweile bist du gemeinsam mit deiner Frau auch selbst Vermieter. Wie kam es denn dazu?
Harry Thaler: Wir haben das Glück in einem neuen Haus in Zentrum von Algund zu wohnen, dass früher Schmiede und Pension der Großeltern meiner Frau war. Das Haus hatte einen älteren Anbau aus den 60er Jahren. Als wir von London zurückkamen, haben wir uns entschlossen, die dortige Dachwohnung umzubauen.
Die Grundidee von chez mone&harry war erstmal eigentlich nicht die Vermietung. Wir wollten eher unseren Freundeskreis aus London unterbringen können. Und da meine Frau als Kuratorin im Kunstbereich tätig ist, laden wir immer wieder mal Künstler ein, mit denen man dann sehr schön im direkten Austausch sein kann.
Dann haben wir doch angefangen zu vermieten und seitdem ist es zumindest in den Sommermonaten gut gebucht. Auch die Kombination mit dem Studio funktioniert – es kommen immer wieder auch Gäste hierher nach Lana ins Studio. Dieser persönliche Austausch wird von beiden Seiten sehr geschätzt, muss aber nicht sein.


Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Also das klappt wirklich – die Gäste machen also wirklich von dem Angebot Gebrauch, bei euch im Studio vorbeizuschauen?
Harry Thaler: Zu 80 – 90 % sind es Architekt:innen oder Designer:innen, die vorbeischauen. Da baut man gleich eine ganz andere Beziehung auf.
Ulrich Stefan Knoll (URLAUBSARCHITEKTUR): Stand hinter der Gästewohnung auch die Idee, dass sie eine Art erweiterter Showroom ist?
Harry Thaler: Wenn ich ganz ehrlich bin, eigentlich nicht. Die Gästewohnung ist eher ein Experimentierfeld: Das Design für einen 3D-gedruckten Betontisch testen wir dort. Das gleich beim Waschtisch oder den Lampen – alles Experimente, die man im Alltag eigentlich nicht macht. Aus der kleinen Lampen-Serie sind dann ähnliche Lampen entstanden – auch jetzt im Monti.



Ulrich Stefan Knoll (URLAUBSARCHITEKTUR): Apropos 3D-Druck: der ist bei dir häufig das Mittel der Wahl, oder?
Harry Thaler: Schon, die Technologie fasziniert mich einfach. Cool auch, weil: Man designt etwas und es ist in kürzester Zeit fertig. Z.B. der vorhin erwähnte Tisch. Der war innerhalb einer Nacht fertig, den holt man am nächsten Tag ab.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR: Was wäre denn in Bezug auf Autodesign dein Favorit?
Harry Thaler: Eher was Kleines. So etwas wie der neue Topolino. Da fährt gefühlt ganz Mailand damit herum. Den finde ich vom Design her mega. Ein Zweisitzer. Da braucht man auch keinen Führerschein. Den kann man bereits mit 15 Jahren fahren.
Jan Hamer (URLAUBSARCHITEKTUR): Werdet ihr denn noch eine weitere Ferienwohnung oder ein Ferienhaus verwirklichen, gibt es Pläne?
Harry Thaler: Der Reiz ist schon da. Oben auf dem Studio eine Box zu bauen, das hätte schon was.
Aber das ist in Südtirol nicht oder nur noch sehr schwer möglich wegen des Bettenstops. Den ich grundsätzlich als Ansässiger natürlich befürworte. Wir haben noch eine Lizenz in unserem Wohnhaus, es gibt es also theoretisch noch die Möglichkeit, ein weiteres, kleines Apartment zu realisieren. Mal sehen.
Ulrich Stefan Knoll (URLAUBSARCHITEKTUR): Die Konzeption der Wohnung haben deine Frau und du gemeinsam gemacht?
Harry Thaler: Ja, das war eine schöne Zusammenarbeit. Wir haben alles miteinander abgestimmt, auch die Materialien, Textilien. Den Grundriss und die Einrichtungsgegenstände habe dann ich entworfen.
Jan Hamer / Ulrich Stefan Knoll (URLAUBSARCHITEKTUR): Vielen Dank für das Gespräch, Harry. Dann wünschen wir dir und deiner Frau viele weitere kreative Ideen und sind gespannt, was ihr noch alles auf die Beine stellt. Wir hören uns!
Harry Thaler ist Produktdesigner mit Schwerpunkt auf architektonischem Design. Nach einer Ausbildung zum Goldschmied absolvierte er 2010 den Master in Design Products am Royal College of Art in London, wo er sein erstes Studio gründete. Internationale Bekanntheit erlangte er mit dem „Pressed Chair“.
Thaler arbeitet mit Unternehmen wie Nils Holger Moormann, Pulpo, Monocle und Davide Groppi. Neben Produktdesign realisiert er Innenräume und architektonische Projekte.
Er lebt mit seiner Familie in Meran, Südtirol, wo er ein ehemaliges Silo zu seinem Studio umgebaut hat. Von 2016 bis 2019 lehrte er an der Freien Universität Bozen. Er hält Vorträge zu innovativen Materialien in Designprozessen, etwa in Budapest, und begleitet Studierende im Rahmen internationaler Workshops und Lehraufträge, zuletzt in Catania.
Interview: Das Gespräch führten Jan Hamer und Ulrich Stefan Knoll
Bildnachweise: Harry Thaler © Stephanie Füssenich (Titelbild), Pressed Chair © Jäger & Jäger / Nils Holger Moormann (1, 2), Monti House © Markus Edgar Ruf (3), Monti House © Silje Kverneland (4 – 7), Tiefgarage © Samuel Holzner (8, 9), Pressed Bike © Alex Filz (10, 11), Camping Meran Partschins © Harry Thaler Studio (12, 13), chez mone&harry © Tiberio Sorvillo (14 – 16, 18), chez mone&harry ©Franziska Unterleitner (17, 19, 20), Studio Lana © Davide Perbellini (21), Studio Lana © Jakob Josef (22), Printed Nature © Daniele Ansidei (23 – 25)
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