Reisefieber – die Kolumne von Wolfgang Bachmann auf URLAUBSARCHITEKTUR
Wir verreisen nicht nur in ferne Länder, wir holen sie mit unverwechselbaren Requisiten auch zu uns nach Hause. In den 1950er Jahren waren das die Chiantiflaschen, die als Tropfkerzenhalter im Partykeller das dolce far niente von der Adria importierten. Später mit zunehmenden Urlaubsradien kamen Buddhas aus Holz, Elefanten aus Messing und Löwen aus grünem Stein dazu. Asien halt.
Auf halber Strecke, mitten im Kalten Krieg, als man bei uns solidarisch alles Amerikanische als Botschaft einer besseren Welt betrachtete, gehörte die Hollywoodschaukel zu den Sehnsuchtsobjekten des Mittelstands. Als meine Eltern in ihr neues Haus zogen, wurde irgendwann so ein Trumm angeschafft. Natürlich war es kein Reisemitbringsel, sondern eine Lieferung des ortsansässigen Möbelgeschäfts. Die hellroten Polster und das Stoffdach waren mit Blumenmustern bedruckt, passten damit gut zu unserem Kaffeekannenwärmer. Damit der Stoff nicht in der Sonne verbleichte oder nass regnete, wurde die Schaukel unter das Terrassenvordach gerückt. Das war so, als würde man seinen Carport in die Garage stellen. Vor allem blieb es jetzt im Wohnzimmer finster, weil vier Quadratmeter Stoff die Glasfront verdunkelten.
Für uns Kinder war eine Hollywoodschaukel natürlich das Größte, das Stillsitzen bei Tisch endlich abgeschafft. Aber der Spaß währte nicht lange, da sich die Erwachsenen von dem Geschaukel belästigt fühlten. Außerdem wollte sich immer jemand dazu setzen, dann hieß es Ruhe geben. Wenn man sich mit den Tanten auf kein sanftes Wiegen einigen konnte, wurde die Schaukelbank mit zwei Sturmhaken arretiert. Das war blöd. Kam Besuch, bot man ihm gönnerhaft die Plätze auf der Hollywoodschaukel an. Dann saßen die armen Leute nebeneinander und konnten kaum über den hohen runden Tisch sehen. Die auf den Außenplätzen erreichten nicht mehr ihren Kuchenteller oder verschütteten den Kaffee, wenn die Schaukel sich doch unerwartet bewegte. Es hatte etwas von Geiselnahme. Geschah ihnen recht, wenn sie uns Kinder verdrängten.
Später als Studenten fanden wir die Hollywoodschaukel ziemlich daneben. Sie war inzwischen verschossen, rostig und quietschte. Was konnte von den US-Imperialisten schon Gutes kommen!
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Wolfgang Bachmann war Chefredakteur und danach Herausgeber der Architekturzeitschrift “Baumeister”. Neben seiner journalistischen Arbeit ist er weithin bekannt für seine oft augenzwinkernden Kolumnen z.B. im Baumeister und für die Süddeutsche Zeitung. Wolfgang Bachmann schreibt ab 2014 regelmässig für URLAUBSARCHITEKTUR.
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