Seenland, Südsee und Savoy – unterwegs in Finnland
Alvar Aalto war der prägende Architekt der finnischen Moderne. 2023 wird der 125. Geburtstag des Baumeisters zelebriert. Wir sind „unterwegs“ zu seinen wichtigsten Wirkungsstätten.
Die meisten Bauwerke mit 29 Objekten hat Alvar Aalto in Jyväskylä realisiert. Hier inmitten der üppigen Wald- und Seenlandschaft etwa 270 km von Helsinki entfernt, wuchs er auf, gründete mit Aino eine Familie und eröffnete mit ihr sein erstes Architekturbüro. Neben Stadttheater (Titelbild), Polizeipräsidium und weiteren Bauten gestaltete er in strahlendem weiß das Museum von Mittelfinnland (1961). Dieses wurde in den 1990er Jahren von seiner zweiten Frau Elissa Aalto erweitert. Das Aalto-Museum (1973) befindet sich gleich nebenan. Beide Häuser wurden nach Renovierungsmaßnahmen im Mai 2023 als neues Aalto-Museumszentrum wiedereröffnet.
Als eines seiner Schlüsselwerke gilt das ehemalige Rathaus der benachbarten Kleinstadt Säynätsalo. Eingebettet in einen Kiefernhain thront der rote Ziegelsteinbau wie eine Festung im Zentrum der gleichnamigen Insel – ein traumhafter Ort, den Aalto selbst liebevoll „Tahiti des Päijänne-See“ nannte.
Keimzelle der finnischen Moderne
Vom Seenland geht es ca. 300 km südwestlich nach Turku. Die älteste Stadt des Landes und ehemalige Hauptstadt gilt als die Keimzelle der finnischen Moderne. Hier realisierte Aalto mit seinem Freund Erik Bryggman 1929 die Messe für Architektur, Design und Kunsthandwerk. Von den Bauten auf dem innerstädtischen Hügel steht leider keines mehr. Während Aalto heute weltweit als Pionier gilt, ist Bryggman einer größeren Öffentlichkeit unbekannt geblieben. Er verband klassische, nordische und modernistische Merkmale kunstvoll miteinander. Viele seiner Bauten stehen in Turku: das Atrium Apartmenthaus (1927), das Hospits Betel Hotel (1929) und die Universitätsbibliothek der Åbo Akademi (1935).
In Turku entwarf Aalto in den 1920er Jahren drei Gebäude im Stil des frühen Funktionalismus: das Haus der landwirtschaftlichen Genossenschaft „Maalaistentalo“, das Standard-Apartmenthaus (beide 1927 fertiggestellt) und das Verlagsgebäude der Tageszeitung Turun Sanomat (1928). Es war das erste Haus in Turku mit streifenartigen Fenstern an der Fassade und einem innovativen System aus tragenden Säulen. Geradezu visionär war die Leuchtreklame und ein riesiges Werbefenster, hinter dem ursprünglich täglich die vergrößerte Titelseite des Blattes zu sehen war.
Über Paimio nach Helsinki
Auf dem Weg nach Helsinki ist ein Stopp im ehemaligen Tuberkulose-Sanatorium von Paimio Pflicht. Alvar und Aino entwarfen es zu einer Zeit, in der es noch keine wirksame Medizin gegen die Krankheit gab. Frische Luft, Licht und eine gestalterisch angenehme Atmosphäre inmitten eines dichten Kiefernwaldes sollten Anfang der 1930er-Jahre zur Genesung beitragen. Heute weiß man, es braucht mehr. Für die Aaltos war der Bau des Sanatoriums allerdings von zentraler Bedeutung für ihre internationale Karriere.
In der finnischen Hauptstadt sollten drei Ort aufgesucht werden. Im Stadtteil Munkkiniemi steht das private Wohnhaus und ehemalige Architekturbüro (1936) Interessierten offen. Aino und Alvar experimentierten mit einfachen und natürlichen Materialien und verliehen dem Haus einen ganz eigenen, atmosphärischen Charakter. Aalto lebte hier bis zu seinem Tod 1976.
Nur wenige Gehminuten entfernt, zeigt sich das neue Architekturstudio von 1955 nach außen geschlossen. Alles kreist um ein zentrales Amphitheater im Hof. Das L-förmige Gebäude wurde später durch einen weiteren Flügel ergänzt, in dem sich die berühmte „Taverna“ (Bürokantine) befand. Der große Zeichensaal wirkt wie noch in Benutzung: Es finden sich Zeichnungen, Modelle, Prototypen und Materialproben verschiedener Projekte. Auch die Aalto-Stiftung hat hier Räume bezogen.
Als Ausklang empfiehlt sich ein Dinner im legendären Restaurant „Savoy“ über den Dächern der Südesplanade. Das kunstvoll gestaltete Interieur war 1937 eine der ersten Auftragsarbeiten in Helsinki, die Aalto gemeinsam mit Aino entwarf. Dazu zählen die kunstvoll gestalteten Wand- und Deckenbekleidungen, gebogene Möbel und organische Leuchten ebenso, wie das Besteck, die Gläser und die ikonisch geschwungene Savoy-Vase.
Autor: Hendrik Bohle, thelink.berlin
Bildmaterial (alle): © Hendrik Bohle / © Jan Dimog, thelink.berlin
Hinweis: 90 Kilometer von Jyväskylä entfernt liegt unser Partnerhaus Mökki Santara – einsam und abgelegen in der unberührten Landschaft der finnischen Region Karelien, mitten im Wald und direkt am See.
Autoreninfo:
Der Architekt Hendrik Bohle betreibt gemeinsam mit dem Journalisten Jan Dimog ein Digitalmagazin zur Baukultur. Auf thelink.berlin erzählen sie seit Jahren von ihren Entdeckungen in Europa, speziell von den Verbindungen zwischen Mensch und Architektur.
Wenn sie nicht unterwegs sind, kuratieren sie u.a. hochrangige Ausstellungen, etwa die Wanderausstellung zur Architektur von Arne Jacobsen.
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