W wie wachgeküsst – der Wasserturm Waren
Die Assoziation mit Rapunzel drängt sich bei der ersten Ansicht unwillkürlich auf, aber lassen wir das getrost beiseite.
Für ein ursprünglich rein technisch konzipiertes Gebäude, denn das war der Wasserturm seit Ende des vorletzten Jahrhunderts, wirkt das 35 Meter hohe Exemplar auf einer Lichtung des Nesselbergs in Waren an der Müritz geradezu verspielt. Mit seiner Ziegelbauweise, dem klassischen Kegeldach mit Schieferdeckung, dem angebauten Treppenturm und dem Sichtfachwerk im oberen Bereich weckt er bei den meisten Betrachtern bereits vor dem Betreten Märchen-Assoziationen. Diese erfüllen sich für den Gast auch, mindestens so entscheidend sind im Wasserturm Waren aber einige andere Aspekte, die für einen rundum gelungenen Urlaub sorgen.
Der Wasserturm Waren ist zu allen Jahreszeiten märchenhaft und entfaltet auch im Winter besondere Reize (Foto, linke Seite: © BEWAHREN Ferienhaus eG). Gäste finden hier in vier völlig unterschiedlichen Wohnungen Platz.
Für viele Jahrzehnte musste der Wasserturm Waren eine wechselhafte Geschichte über sich ergehen lassen, ehe er Architekturfans und Reisenden als bewohnbares Industriedenkmal zur Verfügung stand. 1897 erbaut, zum allgemeinen Gespött 1900 abgebrannt und kurz danach wiedererrichtet, wurde der Wasserturm nach Kriegsschäden ab 1953 wieder ertüchtigt und bereits zehn Jahre später stillgelegt. Ab Anfang der 1990er Jahre blieb er für rund zwei Jahrzehnte unbewohnt. Erst 2011 fand er seine neuen Besitzer, die ihn in einer Zeitungsannonce entdeckten, erwarben und wiederbelebten. Möglich wurde dies durch die Gründung einer Genossenschaft mit ursprünglich sechs Mitgliedern, die alle anderen Kaufinteressenten unter anderem deshalb ausstachen, weil durch die Vermietung und die jährliche Öffnung zum Tag des Denkmals der allgemeine Zugang weiterhin gewahrt blieb. Und vor allem auch, weil das architektonische Konzept, welches in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz erfolgte, den Charakter des Baudenkmals vorbildlich erfüllt. Was der Gast heute ganz selbstverständlich auf fünf Etagen in vier ganz unterschiedlichen Wohnungen erleben kann, ist also dem jahrelangen Fleiß vieler Köpfe und Hände geschuldet.
Eine Aufnahme von 2011 zeigt die Phase nach dem Ausbau der ursprünglichen Zwischendecken und vor der Erneuerung des Treppenturms (im Hintergrund). Foto: © BEWAHREN Ferienhaus eG
Das Innenleben des Treppenturmes musste komplett entkernt und neu instand gesetzt werden.
Fotos: © BEWAHREN Ferienhaus eG
Teile des 175 Kubikmeter fassenden Wasserkessels bilden seit dem Umbau die Decke im 2. Obergeschoss und dienen im darüber liegenden Geschoss als umlaufende Sitzgelegenheit. Der restliche Kessel wurde in situ in 60 x 60 cm große Teile zerlegt. Einzelne Teile davon entdeckt der Gast als Wand-, Leuchten- oder Deko-Elemente in den Wohnungen oder im Garten wieder. In Teilen erhalten wurden auch raumbildende Zu- und Ableitungsrohre, die die ursprüngliche Funktion weiterhin ablesbar machen. Zudem musste vor der Eröffnung der Treppenturm aufwändig in Stand gesetzt werden, da er den Anforderungen des Brandschutzes nicht mehr genügte. Um den Anforderungen eines zweiten Rettungsweges zu genügen, wurden im 1. und 2. Geschoss kleine Balkone angehängt, die nun das Raumerlebnis um wunderbare, private Eindrücke der umgebenden Waldinsel ermöglichen. Im Erdgeschoss bietet eine Terrasse den selben Effekt, im Obergeschoss ein bereits vorher bestehender Umgang. Last but not least wurden sämtliche Fenster ertüchtigt, was aufgrund des Alters ebenfalls genehmigungspflichtig und entsprechend aufwändig war.
Alle Wohnungen verfügen über einen Außenbereich – entweder Terrasse, Balkon oder eine umlaufende Empore. Der Garten steht allen zur Verfügung und wird gemeinsam genutzt.
Foto: © Jan Kulke.
Von den oberen Etagen aus fühlt man sich den Vögeln fast ebenbürtig und ist der Natur auf der Waldlichtung ganz nah. Foto: © Jan Kulke
Rund ist nicht einfach, aber schön
Besondere Anforderungen an die Architekten stellte die ungewöhnliche Bauform beim Innenausbau. Was den Erholungssuchenden vielleicht nicht sofort auffällt, stellt sich als Herausforderung dar: Das Problem der Heizung wurde nach längerem Grübeln durch eine Randleistenheizung gelöst, die nicht nur ideal die eindringende Kälte abschirmt, sondern sich auch optisch unauffällig an die Raumform anpassen ließ. Gleiches gilt für sämtliche Möbeleinbauten, Stauraumflächen oder fest eingebauten Sitzmöbel: alles musste sich der Form des Turmes fügen und maßgefertigt werden. Selbst die Gardinenstangen, wie etwa im Erdgeschoss, mussten sich fügen – „form follows form“, wenn man so will. Die entsprechenden Details – ob nun bewusst oder unbewusst wahrgenommen – runden den Gesamteindruck beim temporären Bewohner nachhaltig ab. Die Räume sind luftig, stimmig und geben den Raum für die zahlreichen, bauhistorischen Details frei. Alleine schon dadurch wird der Aufenthalt im Wasserturm zu einem unverwechselbaren Erlebnis. Die einzige Ausnahme bilden die Sanitäreinbauten, die als eigenständige Kuben in die Wohnungen gesetzt wurden und alleine aufgrund ihrer Form Widerparts setzen.
Details wie runde Gardinenstangen oder passgenaue Einbauten wie das hier abgebildete Podest, welches zeitgleich als Stauraum dient, finden sich im gesamten Turm allerorten. Foto: © Jan Kulke
In der Wohnung Güstrow ist die historische Funktion besonders gut ablesbar: sichtbar sind die ehemaligen Wandhalterungen des Kessels sowie der Kesselboden selbst. Unter diesem auf der Schlafempore zu nächtigen ist ein unvergessliches Erlebnis. Foto: © Jan Kulke.
Rund und kuschelig – hier und im folgenden Foto am Beispiel der Wohnung Hagenow im Erdgeschoss. Fotos: © Jan Kulke
Die Küche im Erdgeschoss wurde im wahrsten Wortsinn um das erhaltene Wasserrohr herumgebaut, die Authentizität des Wasserturms wurde dadurch erhalten. Foto: © Jan Kulke
Der obere Kesselrand ist in der Wohnung Pankow als umlaufende Sitzgelegenheit erhalten geblieben und dadurch omnipräsent. Foto: © Jan Kulke
Elemente des teilweise demontierten Kessels finden sich auf dem ganzen Anwesen wieder. Wie hier als Wandlampe. Foto: © Jan Kulke
Ein besonderes Betreibermodell: die Genossenschaft
Insgesamt mehr als 2.000 Arbeitsstunden waren nötig, ehe der Wasserturm Waren an Pfingsten 2011 in seiner heutigen Form eröffnet werden konnte. Ziel der mittlerweile 39 Mitglieder umfassenden Genossenschaft war dabei von Anfang an nicht die Gewinnmaximierung, sondern der Erhalt der Bausubstanz, der auch den eigenen Mitgliedern auf Dauer erschwingliche Ferien ermöglicht. Da das ursprüngliche „Liebhaberobjekt“ mittlerweile an mehr als 200 Tagen im Jahr ausgebucht und die Rückzahlung der Kredite im Soll ist, denken die Genossen bereits über weitere Objekte nach – gerne am Meer, in den Bergen und „im Süden“.
Ein Teil der Genossenschaft. Mittlerweile wollen 39 Mitglieder hoch hinaus. Foto: © Jan Kulke
Künftige Besucher können aber ganz beruhigt sein: selbst wenn diese Pläne verwirklicht werden sollten, werden sich die Betreiber weiterhin so sorgfältig um ihren Turm kümmern, wie sie dies seit der Eröffnung tun. Denn, auch das ist eine Besonderheit der Genossenschaft: die Mitglieder treffen sich, unabhängig von ihren einzelnen Urlaubsaufenthalten vor Ort, zweimal jährlich zu großen Arbeitseinsätzen. Dann wird jedes Detail unter die Lupe genommen und der Turm wie auch der Garten grundlegend in Schuss gebracht. Man merkt dies beim Aufenthalt: Die ursprüngliche Qualität bleibt erhalten, selbst die Küchenmesser sind allzeit scharf. Viele Details also, über die sich jeder Gast freut! Die wahren Besitzer des Wasserturms sind übrigens die Dohlen, die hier seit vielen Generationen in einer kleinen Kolonie leben. Sie wurden 2012 genau so aufwändig wie liebevoll in neuen Außennistkästen untergebracht. So bleiben sie für alle erdenklichen Zeiten neben Ringeltaube, Zaunkönig, Amsel, Kuckuck, Zilpzalp, Specht, Buchfink die heimlichen Herrscher der kleinen Waldlichtung, auf der der Wasserturm steht. Doch keine Sorge: sie leben in friedlicher Existenz mit den Feriengästen und Rapunzel hätte auch an ihnen große Freude gehabt!
Die nach außen verlegten, neuen Dohlenbungalows. Foto: © BEWAHREN Ferienhaus eG
Wer vom Wasserturm aus aktiv werden will, dem bietet die nahe gelegene Feisneck ein wunderbares Naturbad. Die Innenstadt von Waren ist fußläufig vom Nesselberg sehr gut erreichbar. Wassersport ist an der Seenplatte allerorts möglich, frischen Fisch kann man bei den Müritzfischern erwerben. Und wer es beschaulich und naturnah mag, erkundet den nahegelegenen Nationalpark, der auch mit dem Leihrad gut zu erreichen ist.
Die natürlichen Schönheiten der Umgebung – ob Feisneck, Müritz oder der Nationalpark – sind allgegenwärtig und gut zu erreichen,
Seen für Wassersport und ausnahmsweise auch zum Baden sind reichlich vorhanden und sommers wie winters attraktiv (Foto oben und unten: © BEWAHREN Ferienhaus eG)
von Ulrich Stefan Knoll, Oktober 2017
2 Kommentare
Ein Urlaubsparadies. Etwas ganz Besonderes! Zu jeder Jahreszeit.
Wunderschön!
Wenn es von mir aus nicht so weit wäre, würde ich sofort eine Mitgliedschaft beantragen.
Danke für diesen Bericht!