Griechenland, Marokko … und das Bauhaus
Was das Bauhaus und seine Schüler:innen mit der mediterranen Architektur zu tun haben und welche Wechselwirkungen sich über räumliche und kulturelle Grenzen ergeben haben, beleuchtet unsere Autorin Tina Barankay.
Weiße, kubische kleine Häuser, so weit das Auge reicht. Wie aufeinandergestapelt oder sogar durcheinandergewürfelt ziehen sie sich den Hang hinauf, umrahmt von pinkfarben leuchtenden Bougainvilleas. Jeder Inselhüpfende kennt diesen typischen und so wundervollen Anblick bei der Einfahrt in die Hafenbucht einer der vielen kleinen griechischen Inseln. Nicht immer perfekt und rechtwinklig, wirken sie durch den weißen Kalkputz dennoch puristisch und geradlinig – fast wie eine Bauhaussiedlung
Kubische Bauformen, weiße Fassaden und Flachdächer – der Gedanke an die Architektur des Bauhauses liegt nahe, und viele nehmen es wohl als gegeben hin, dass diese Art des Bauens eine Idee von Walter Gropius, Le Corbusier oder Mies van der Rohe war. Die Kombination puristischer Formen mit industriellen Baustoffen ist sicherlich das Merkmal schlechthin für die Bauweise der Pioniere der modernen Architektur. Aber die Inspiration kam definitiv aus dem Mittelmeerraum – aus Griechenland. Oder Marokko.
Wo aber bleiben hier die leuchtenden Farben und geometrischen Muster, für die insbesondere Marokko bekannt ist, die aber auch in Griechenland zu finden sind, wird sich die Leserschaft fragen. Zu Recht, aber tatsächlich war auch das Bauhaus nicht so pur und rein, wie es die architektonische Hülle vermuten lässt – oft wurden die Bauten zudem in Schwarz-Weiß-Fotografien festgehalten. Auch in den berühmten Meisterhäusern des Bauhauses sind sämtliche Farben zu finden, von zitronengelben Fassaden über rosafarbene Wände bis hin zu goldfarbenen Details. Ein wenig erinnert das an die antiken griechischen Tempel, die einst so bunt bemalt waren – nur, dass kaum jemand davon weiß. Auch in den arabischen Ländern und in Griechenland findet man Ornamentik und Farben häufig erst hinter einer schlichten Gebäudefassade, versteckt hinter einer reich verzierten Eisen- oder einer blau gestrichenen Holztüre. Apropos Farben: Die Weberinnen am Bauhaus (die textilen Werkstätten waren vor allem von faszinierenden Frauen dominiert!) ließen sich durch marokkanische Web- und Knüpftraditionen inspirieren. Und aktuell ist die Verbindung von puristischer Architektur mit farbenfrohem Interieur und Textilien aus afrikanischen oder arabischen Ländern im Trend – so bilden die angesagten Berberteppiche einen lebendigen Kontrast zu den häufig verbauten Sichtbetonwänden.
Eine direkte stilistische Verbindung der Architektur in Griechenland und Marokko ist sicher nicht auf den ersten Blick erkennbar. Der Einfluss der traditionellen Bauweise der griechischen und auch der arabischen Kultur auf die Formensprache des Bauhauses ist jedoch vielfach belegt: So war Adolf Loos, einer der Wegbereiter der funktionalen Architektur, nach einer Reise, die ihn Anfang des letzten Jahrhunderts über den Balkan nach Griechenland, in die Türkei und weiter nach Algerien und Marokko führte, fasziniert von den „weißen Mauern“ der Städte und Le Corbusiers Voyage d’Orient war prägend für dessen Schaffen. An die Architektur Nordafrikas erinnert auch die Villa Allegonda mit ihren asymmetrisch angeordneten, weißen Kuben, die der Niederländer J.J.P. Oud in Katwijk aan Zee baute. Und der Maler Paul Klee war auf seiner Tunisreise begeistert von den weiß gekalkten kubischen Häusern, über die er schrieb, sie seien „winklig und rechtwinklig und wieder winklig“. Die Bauhaus-Architektur hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt – im Gegenteil: Das kubische Bauen ist geblieben und moderner denn je. Zum Glück sind die Zeiten lange vorbei, in denen die Stuttgarter Weissenhofsiedlung, 1927 vom Deutschen Werkbund unter der Leitung von Mies an der Rohe errichtet, wegen der weißen, kubischen Häuser mit Flachdächern als „Araberdorf“ verspottet wurde und sogar abgerissen werden sollte.
Ob die weißen Kuben von Marokko nach Griechenland kamen oder umgekehrt, bleibt ungeklärt – schön anzusehen sind sie hier wie dort. Sicher ist hingegen, dass die Kunst des Bauhauses wiederum die Lehre der Kunstschule in Casablanca beeinflusste und auch in Athen kubische Bauten ehemaliger Bauhausschüler:innen zu finden sind. Und damit kehrt der Einfluss der weißen Kuben in umgekehrter Richtung an ihren Ursprung zurück. Ein Geben und Nehmen (bzw. umgekehrt: ein Nehmen und Geben) und ein Miteinander, so wie man es sich auf so vielen Ebenen wünschen würde – nicht nur von Griechenland, Marokko und dem Bauhaus.
Text: Tina Barankay
Foto: Joshua Rondeau / Unsplash
Ein Kommentar
Beautifully written.