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Der Niedermairhof – Eine Zeitreise

Ein alter Bauernhof im Südtiroler Pustertal steht würdevoll inmitten eines beschaulichen Dorfes und präsentiert mit souveräner Selbstverständlichkeit einen hochmodernen Anbau. Nach fünfzehnjährigem Intermezzo und einem aufwendigen aber beispielhaft behutsamen Umbau heißt der Niedermairhof seine Gäste wieder herzlich willkommen – wie in alten Zeiten.

von Helmuth Mayr im Februar 2017

Der Niedermairhof – Eine Zeitreise

Jeder Winkel des Hauses erzählt von vergangenen Jahrhunderten und doch ist hier nichts altbacken: Die jungen Eigentümer haben viel Licht, Luft und Weite in den Niedermairhof gebracht und die historische Bausubstanz behutsam und hoch ästhetisch in die Gegenwart übergesiedelt. Der tiefe Respekt für das Alte und moderne, mutige Raumkonzepte ergeben ein großartiges Gesamtbild. Gastgeber Helmuth Mayr skizziert eine Zeitreise.

Ein Gedanke. Viele Gespräche. Ein Blatt Papier. Etwas entsteht.

So stelle ich mir vor, hat vor mehr als 700 Jahren auch die Geschichte des Niedermairhofs begonnen. Das Papier war noch nicht gebleicht oder bot sich digital an und als darauf geschrieben wurde, hieß das Erzählte noch nicht HomeStory.

Die Geschichte, die ich erzählen darf, beginnt im Jahr 1439, also rund 135 Jahre nach der ersten Erwähnung des Niedermairhofes. Sie beginnt mit den Worten „Kristoffel ein elicher Sun des Vallentain zu Dietenhaym“ und handelt von einem Vertrag, der vom Richter abgesegnet wurde. Das Pergament haben wir noch im Haus. Wie so vieles.

Fast sechshundert Jahre sind seither vergangen, viele Generationen haben den Hof weitergeführt, Aussteuern wurden bezahlt, Tauschverträge abgeschlossen, Wappenbriefe wurden ausgestellt und Grundstücke verkauft oder vererbt. Gar einige Male kam es zu Erbstreitigkeiten. Kaiser (hier Kaiser Rudolf oder Leopold der Erste) und Erzherzoge werden in Dokumenten erwähnt.

Und nun sind wir dran. Kathrin, als Bauherrin; Helmuth, als Schreiber dieser Zeilen. Kaiser und Könige gibt es nur noch im Fernsehen und in Klatschmagazinen. Wir schreiben nicht mehr auf Pergament. Vielleicht fühlen wir uns auch fortschrittlich. Trotzdem geht es immer noch um dasselbe Haus: Was ist für uns der Niedermairhof und wie gestalten wir unseren Beitrag zu seiner Geschichte?

Viele Gedanken. Möglichkeiten. Viele Gespräche. Da Papier nicht mehr so kostbar wie früher ist, benötigen wir sehr viel davon. Immer wieder neue Ansätze und Entwürfe. Monate vergehen. Beim Blick auf den Hof in seiner Gesamtheit ist es für uns schwierig, Antworten auf die selbst gestellten Fragen zu finden. Also versuchen wir, Stück für Stück vorzugehen.

Beginnen wir mit dem Haupthaus. Ein Gebäude, das über die Jahrhunderte immer wieder erweitert und in seiner Zweckbestimmung an die Begebenheiten angepasst wird. Auf alten Kirchenfahnenbildern sieht man noch ein zweistöckiges, kleineres Haus. Erst wird verbreitert, dann aufgestockt. Bauernhaus. Gasthaus. Fremdenzimmer (ja, so hat das damals noch geheißen). Jugendferienhaus. Sogar eine Schulklasse wird hier ein Jahr untergebracht. Und rauschende Feuerwehrbälle, von welchen die Dorfältesten noch heute mit einem Schmunzeln erzählen, finden statt.

Das alles können wir auch wieder machen. Wir entscheiden uns für die Fremdenzimmer. Wir hoffen, dass interessante Gäste zu uns in die Sommerfrische kommen, so wie es einst im späten 19. Jahrhundert die angenehmen Herren und schönen Damen aus der österreich-ungarischen Monarchie taten. Gewitzte Reime ins Fremdenbuch schreiben. Das Haus mit Leben füllen.

Nach zwei Jahren Bauzeit stellen wir fest, dass es lebt. Das Haus und das Gästebuch. Vielen Fragen und Entscheidungen widmen wir uns erst später. Entscheidungen, bei denen es kein richtig oder falsch gibt, kein gut oder schlecht. Vieles entsteht direkt am Bau. Mit Technikern und lokalen Handwerkern. Beim Abendgespräch. Es stellt sich heraus, dass sich einige Punkte, vielleicht unbewusst, wie ein roter Faden durchziehen.

Was alt und erhaltenswert ist, bleibt

Für diesen Leitspruch leiden wir. Das alte Kehlbalkendach braucht nun Stütze in Form einer Eisenstruktur. Der alte Dielenboden wird vorsichtig abgetragen; der Parkettboden wird Samstag für Samstag, Stück für Stück, abgebaut. An der Unterseite ist der Lieferschein der kaiserlichen und königlichen Bahnlinie aufgeklebt. Die alten Kachelöfen werden ebenfalls wieder eingebaut. Da schummeln wir etwas und heizen nun mit Warmwasser ähnlich einer Fußbodenheizung. Jeden Tag die Öfen mit Holz zu beheizen war uns dann doch zu viel Arbeit. Da darf dann auch neuere Technik rein.

Mit einem Restaurator schauen wir punktuell nach, wo erhaltenswerte Wandmalereien zum Vorschein kommen und legen diese frei. Die alten Betten, Waschtische, Schränke, Stühle und Tische werden zu einem Möbelrestaurator gebracht. Jeden Tag stehen neue Entscheidung an. Ist es erhaltenswert? Können wir es in einen neuen Kontext bringen? Spannend.

Die Außenfassade soll die alte Ästhetik aufgreifen

Wie interessant das ist, dürfen wir bereits beim ersten Bauansatz merken. Das Dach ist als erstes dran. Von dort regnet es nämlich schon seit geraumer Zeit ins Haus. Das Dach alleine kann die Geschichte füllen. Es ist schön und zugleich auch irgendwie wahnsinnig, wie es sich geformt hat. Wir zeichnen in den Nächten aus den verwitterten Beständen die Akroterien (Ornamente) auf großen Plastikböden nach. Lärchenbretter mit 60 cm Breite suchen wir, damit die Akroterien aus einem Stück geschnitten werden können. Wir ersinnen optische Tricks, damit das Dach weiterhin schmal aussieht. Mit Zimmerer und Spengler verhandeln wir um jeden Zentimeter Wandaufbau bei den Dachgauben. Wo sieht man noch Dachgauben mit 10 cm Wandaufbau? Alles den Proportionen zuliebe.

Bei den Fenstern suchen wir den Fensterbauer mit dem dünnsten Profil. Mit dem Restaurator werden Jalousienfarbe, Hausfarbe und Dachfarbe bestimmt. Und so geht es weiter. Wie gesagt, eine eigene Geschichte. Im Nachhinein grinse ich über das Unterfangen.

Mut zu Neuem

Wo es neu werden darf, geben wir Gas. Da blühen wir so richtig auf und ersinnen zusammen mit dem Architekten Andreas Vallazza wagemutige Entwürfe. Von den ersten Drafts zu den tatsächlich realisierten Objekten ist es ein weiter Weg. Jedem merkt man seinen Charakter an.

Und dann ist da noch ein Thema, das ich loswerden möchte. Dieses Thema habe ich unterschätzt. Nicht nur, dass jeder seinen Charakter hat. Es ist wunderbar zu sehen, wie unterschiedlich Frauen und Männer auch Architektur und Design leben und erleben. Während der fast zweijährigen Bauzeit dürfen wir mit tollen Artists, Designern und Creatives zusammenarbeiten. Englisch ist da weniger geschlechterspezifisch.

Aus Ideen, Träumen, praktischen Überlegungen und großem Respekt zum Ensemble entsteht etwas völlig Neues. Auch unser Jahrhundert hat tolle Materialien, Farben, Ansätze. Schließlich stecken wir nun schon 16 Jahre drin. Zeit, in dem Jahrhundert Fuß zu fassen.

Ein altes Haus muss nicht hellhörig sein

Und wenn wir schon bei den Füßen sind. Den Fußboden darf man selbst zwar gerne noch knirschen hören, der Nachbar aber bitte nicht. Auch andere Dinge muss nicht jeder hören. Deswegen ist es uns wichtig, das Thema Akustik besonders eingehend zu behandeln. Ein altes Haus muss nicht hellhörig sein. Mit einigen Tricks und auch hier Mut zu Neuem haben wir tolle Trittschall- und Luftschallwerte erreicht. Und nun sind unsere Kehrleisten eben losgelöst vom Boden. Und die Gespräche und Tanzeinheiten losgelöst vom Nachbarraum. Und das in einem sehr alten Haus.

Glück

Ach ja. Es hat sich niemand verletzt. Wir sind noch ein Paar und fühlen uns im Haus sehr wohl. Hoffentlich haben wir das Haus gut in dieses Jahrhundert gebracht. Ein Haus, das über Jahrhunderte der nächsten Generation anvertraut wurde. Und schon dürfen wir wieder neue Dinge entstehen lassen. Gerade ist ein Kinderspielhaus im Gespräch und wie wir den Garten weiter gestalten können. Darüber zu reden ist auch Glück. Wir sind dankbar dafür.

Ein Gedanke. Viele Gespräche. Ein Blatt Papier. Etwas entsteht.


Text: Helmuth Mayr, Februar 2017

Bilder: Helmuth Mayr, Arnold Ritter

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Ein Kommentar

ein wundervolles Beispiel von erhaltender Bausubstanz und der Hinzufügung zeitgemäßer schöner Architektur

Uttenweiler R. sagt:

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