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Château de Sibra – Ort der tausend Geschichten

Am Fuße der Pyrenäen hat eine Schweizer Architektin das Arkadien eines französischen Industriellenpaares in seiner ganzen Pracht wiederauferstehen lassen. Schloss-Suiten, Apartments und ein Ferienhaus treffen auf einen zauberhaften Park samt Gebirgsblick. Bienvenue!

von Ulrich Knoll im Juni 2022

Château de Sibra – Ort der tausend Geschichten

Ein kalter Januartag 2017, am Fuße der Pyrenäen. Der Himmel verhangen, die Bäume kahl. Zum ersten Mal durchschreitet die Schweizer Architektin Sibylle Thomke das monumentale Tor – das leere, vernachlässigte Entrée Est des Château de Sibra vor Ihr. Die frühere Stattlichkeit und architektonische Klarheit der flankierenden Stallungen, Wirtschafts- und Lagergebäude ist noch zu erkennen. Der erste Blick auf das Château: keine Schönheit in seinem groben, puderrosa Putz, mit aufgesetzten Türmchen und Türmen, die dem Gebäude etwas andichten. 

Die prominent platzierten Skulpturen an der Ostfassade, obschon wohl proportioniert und fein gearbeitet, machen die gebaute Collage nicht besser. 

Im Innern dann, eine steinerne Kälte. Nur im Kamin der alten Küche brennt ein riesiges Feuer. Vernachlässigung auch hier, die letzten Schlossbesitzer:innen verarmt. Wenig wurde in den letzten hundert Jahren getan oder verändert. 

Kurz fragt sie sich, welcher unbewusste Impuls sie hergeführt hat. Sicher, sie reist schon seit vielen Jahren mit Vorliebe in das  Département Ariège in der Region Okzitanien im Süden Frankreichs. Die touristisch bis heute eher unbekannte Gegend in den französischen Ausläufern der Pyrenäen hat es ihr schon lange angetan. Immer wieder verbringt sie hier ihre Urlaube, besucht Freund:innen. Aber eine Immobilie? 

Das sie sich aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz auf die Suche nach einem Haus macht, entspringt der schieren Neugierde. Eine Kaufabsicht hat die dynamische Schweizerin beileibe nicht, einen Masterplan ohnehin nicht. Das Ariège gilt als speziell, so geht es auch der Architektin. Einerseits fühlt sich der Landstrich bisweilen wie das Ende der Welt an. So kann es vorkommen, das sich die Sehenswürdigkeiten der Region selbst sommers den Gästen in stiller, einsamer Schönheit präsentieren. Andererseits ist das Gebiet zu Füßen der Pyrenäen seit jeher das Tor zur iberischen Halbinsel und mit reicher, vor allem mittelalterlicher Kulturgeschichte gesegnet. 

Auch das Klima ist besonders. Je nach Windrichtung schickt das Mittelmeer oder der Atlantik seine Luftmassen und erzeugt wechselnde Stimmungen. Der Spirit der Gegend ist ebenfalls eigen, wenngleich nicht leicht zu greifen. Ob das wohl an den vielen „Andersdenkenden“ liegt, die sich hier im Laufe der Epochen zurückgezogen haben?

Was auch immer Sibylle Thomke genau bewogen haben mag: hier steht sie – zweifelnd, gefangen, hin-und hergerissen. Das Haus, das sie nicht wollte: ein Schloss samt weitläufigem Areal.

Da sich bei diesem allerersten Besuch auch erste Wunder auftun, wenden sich die Geschicke allmählich: Außerordentliche, bemalte Wandbespannungen, Salamander und Fabelwesen darstellende Türgriffe und  ehrwürdige, alte Böden wecken ihr Interesse. Ein trockenes Kellergewölbe und ein solider Dachstuhl mit regendichter Schiefereindeckung machen Hoffnung. Erste, vage Assoziationen von Vergangenheit und potentieller Zukunft tauchen vor ihrem geistigen Auge auf. Noch aber schwankt die heutige Besitzerin zwischen schmunzelnder Verwunderung und Ratlosigkeit: Welch’ eklektische Ansammlung räumlicher Anordnungen und pittoresker Zitate!

Fantastische Welten eines visionären, französischen Industriellen

Den Ausschlag gibt schließlich der Besuch im Park, der sie zutiefst berührt. Wohl weil gänzlich unerwartet, erlebt Sie die gestalterische Kraft der Anlage fast körperlich. Die ganze Palette von Gefühlen, Referenzen, Bildern und Dunkeldeutigkeiten, die Ihr bisher nur theoretisch über die Tradition der großen Landschaftsgärten bekannt war, offenbart sich beim Durchschreiten der verwilderten, aber immer noch lesbar großartigen Anlage unmittelbar. 

Als sei es so bestellt, lichtet sich bei der Rückkehr zum Parterre vor dem Hauptgebäude der Himmel. Die verschneiten Gipfel der Pyrenäen, des Pic de St. Barthélemy, des Pic de Soularac und des Pas de l’Ours strahlen als monumentales, sonnenbeschienenes Panorama. 

Was sie, noch ohne es in diesem Moment bereits en détail zu wissen, erblickt, ist das Lebenswerk des illustren, französischen „Eisenbahnbarons“ Joseph Villary de Fajac und seiner Frau Pauline, die den aus dem 13. Jahrhundert stammenden Besitz zwischen 1878 und 1916 leidenschaftlich wie fantasievoll umgestalteten. Durch sie gelangte das Anwesen zu seinem heutigen Erscheinungsbild. Das Schloss erhielt durch den Toulouser Architekten Louis Mortreuil seine Anmutung im „style troubadour“,  der Park wurde als romantischer „jardin exotique“ mit einer Vielzahl an kleinen Schaubauten, so genannten „fabriques“, diversen Rocaille-Ornamenten und einer Vielfalt an Baumarten in der Art eines lehrreichen Arboretums angelegt. 

„Die Hochzeit der Seele mit der Natur macht den Verstand fruchtbar und erzeugt die Phantasie.“ —  Henry David Thoreau, 1851

Zusammen mit seiner Frau Pauline richtete de Fajac einen Musterlandwirtschaftsbetrieb ein. Die noch heute ablesbare Szenografie aus Schloss samt Hof mit Verwalterhaus,  Pferdeställen,  Zwinger und  Getreidelager entspringt dem Konzept einer Ferme ornée. Dieser Idee folgend, bildeten die landwirtschaftlichen Bereiche einen integralen Bestandteil eines repräsentativen Ensembles. Oder besser: sie alle waren und sind Teil einer sorgfältig gestalteten Landschaft, in der sich das Schöne und das Nützliche zu einer einzigen, großen, pastoralen Idylle verbinden.

Während also Joseph mit seinen Angestellten die Ländereien bestellte,  Blumen züchtete und Bäume aus aller Welt sammelte, kümmerte sich Pauline Villary de Fajac als passionierte Imkerin zeitweise um bis zu einhundert Bienenvölker. Anzunehmen ist, dass die aus dem hektischen Paris geflüchteten de Fajacs als begeisterte Leser:innen der Schriften von Jean-Jacques Rousseau, Henry David Thoreau und John Ruskin davon träumten, Hirt:innen eines verlorenen Arkadiens zu werden.

Tausend Welten weiterbauen: vom Erwachen einer schlafenden Schönheit

Seit 2017 wird Sibra nach und nach wieder dieser Ort, an den sich das Ehepaar Villary de Fajac vor 150 Jahren hinzauberte – damals wie heute eine Zeitreise, oszillierend zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ein Ort, der seine Gäste weit weg zaubert: hinaus aus dem Alltag, hinein in das Erlebnis von Zeit und fantastischen ästhetischen Erfahrungen.

Der heute wiedergewonnenen Eleganz gingen umfangreiche Recherchen und Bestandsaufnahmen voraus, sowohl im Schloss wie auch im Park.  Sibylle Thomke samt Team sowie dem Landschaftsarchitekten Thilo Folkers von 100Landschaftsarchitektur tauchten zu Beginn tief in die Details der Geschichte(n) ein. Farbmusterproben wurden gesammelt, Referenzen von Tapeten und Wandverkleidungen erstellt, es wurde umfangreich katalogisiert und kartiert. 

Anhand dieser Aufnahmen sowie der baulichen Struktur wurde schnell klar, dass sich die zukünftigen Entwürfe zwar an den Entwürfen von de Fajac ausrichten und andere Einflüsse bewusst zurückgenommen werden sollten, Sibra aber keinesfalls ein musealer Ort werden solle. Die Maxime: Sibra möge weiterhin ein Ort sein, der im Sinne seiner Schöpfer:innen ständig im Werden und in Veränderung begriffen bleibt, der es verdient weiter gesponnen, verdichtet und in die Zukunft getragen zu werden.

Dabei ging die Detailtreue der Restauration so weit, dass etwa für den Ersatz der wertvollsten, stark beschädigten Tapeten in Schweden neue Walzen hergestellt wurden und man die Muster auf einer Maschine aus jener Zeit produzieren liess.

Elemente, die nicht restauriert, oder in einer originalen Arbeitstechnik nachgebaut werden konnten, wurden durch ehrliches, dem historischen Baudenkmal sensibel gegenübertretendes Handwerk von heute erfahrbar gemacht. Vordergründige Kopien wurden vermieden. Diese Haltung bedeutet nicht, dass die Architektin einem Baudenkmal als heutige Autorin eine formale Signatur hinzufügen wollte, sondern basiert vielmehr auf dem minutiösen, reaktiven Umgang mit dem Bestand, der Analyse seiner diversen Bedeutungsebenen und dem zeitgenössischen Weiterentwickeln seines inhärenten Charakters.

So wurde etwa das Château wieder klar in einen Nord- und einen Südbereich gegliedert.  Durch das Weglassen einer Wand und das Öffnen eines ehemaligen Durchgangs wird heute im Erdgeschoss der Blick in die Küche wieder freigegeben auf das zentrale Element eines jeden Hauses: den Herd. In den oberen Geschossen wurde durch einen analogen strukturellen Eingriff die Abfolge mehrerer, ursprünglicher Raumschichten wieder erlebbar. 

Die restliche Gebäude- und Raumstruktur blieb unverändert. Notwendige, neue Einbauten wie sanitäre Anlagen wurden als freistehende, möbelartige Strukturen konzipiert, die den Bestand möglichst wenig tangieren, jedoch in einer aktiven Wechselwirkung mit diesem stehen. 

Gästewelten

Heute verbringt man seinen Urlaub entweder in einer der fünf Schloss-Suiten, die jeweils zwei Gäste beherbergen können. Oder als Gruppe im Ferienhaus, dem ehemaligen Verwalterhaus „Maison du Metayer“, das 10 -14 Personen Platz bietet. Zur Auswahl stehe auch drei Ferienwohnungen in den ehemaligen Stallungen und dem Ostteil des Getreidespeichers. 

Man kommt also alleine, zu Zweit oder als kleine oder große Gesellschaft unter. Aus welchen Gründen auch immer Sie nach Sibra kommen – Urlaub, Festivität oder Workation – auf Sibra ist Vieles denkbar und möglich.

Hochzeiten werden gefeiert, Künstler:innen nutzen die beiden eigens für sie reservierten Zimmer samt Arbeitszimmern für Residencies, kreative Köpfe treffen sich, um „out of the box“ auf neue Gedanken zu kommen, Yoginis oder Künstlergruppen kommt die fantastische Atmosphäre und die Weiten des Parks für inspirierende Seminare oder Workouts ohnehin zu Gute. 

Künstler:innen und Gruppen stehen diverse Arbeitsräume zur Verfügung, die je nach Anlass und Personenzahl einsetzbar sind. Vom kleinen Seminarraum für bis zu 8 Personen, über den Salon oder das Atelier für jeweils bis zu 10 Personen bis hin zum Salle Polyvalente für bis zu 30 Personen. 

Gäste, die seit der Eröffnung im Juni 2021 durch die weitläufige Parkanlage wandeln, welche sich auf den Wandteppichen des Château wiederspiegelt, fühlen sich oft unwillkürlich in Monets Szenerie des „Picknick im Park“ versetzt. Die Zeit bleibt (nahezu) stehen, der Geist klärt sich, schweift zwischen glorreicher Vergangenheit und glückseligem Momentum. Das ist – man möchte sich derartige Zuschreibungen eigentlich verkneifen, kann es aber partout nicht – schlichtweg: zauberhaft.

A propos zauberhaft. Weggezaubert wird natürlich nur, wer das auch will. In Sibra gibt es kein Müssen. Dafür viel Raum, Ruhe und freiheitliches Denken. Das garantieren 5000 Quadratmeter je Gast in den Innen- und Außenräumen sowie eine herzlich gelebte Gastlichkeit. Für diese sorgt die Architektin und Hausherrin oft genug selbst. Vor allem im Sommer, wenn sie den Großteil ihrer Zeit vor Ort verbringt. Dann tauscht sie fließend die Rollen und führt ihr Architekturbüro mit der gleichen Leidenschaft aus der Ferne. Wie gesagt: Sibra lebt von der ständigen Weiterentwicklung, und die gelingt natürlich am besten vor Ort. Lebenswerk, einst wie heute.

Einer dieser Pläne ist bereits in Erfüllung gegangen: Vor wenigen Wochen konnte die Gastgeberin zwei Köche verpflichten. Seitdem kommen die Gäste in den Genuss regelmäßiger Menus, die das Angebot der abendlichen „Tables d’hotes“ und optionalen Picknicks wunderbar ergänzen. Für alle Sinne: Savoir vivre à la Sibra. Plaisir et utilité – das Angenehme und das Nützliche verbinden sich auf natürlichste Weise. Gute Reise – bon voyage!

“Fine art is that in which the hand, the head, and the heart of man go together.” – John Ruskin


Text: Ulrich Stefan Knoll, Juni 2022

Fotos: © Stöh Grünig (Titelbild, 1, 2, 4, 7-10, 12, 16, 17, 19-41), © Thierry Kleiner (3, 5), © Jeannette Corbeau (6, 13, 15, 42-44), © Sybille Thomke /SPAX Architekten (14, 18), © Collection V. M., via delcampe.net (11 – Postkarte Ariège: Château de Sibra, um 1910)

Übersicht: Hier finden Sie alle HomeStories auf einen Blick!

Château de Sibra

Ein Kommentar

Anfang Juni 2022 waren wir für eine Woche Gäste in einem Apartement des Chateau de Sibra (EG Apartement). Es war für uns eine wundervolle Zeit. Das Apartement überzeugte durch die sehr durchdachte Renovierung, der geschmackvollen und praktischen Einrichtung.
Die ausgesprochen freundliche Gastgeberin und Ihr Team sorgten für eine sehr angenehme und unkomplizierte Atmosphere, die die wunderschöne Parklandschaft, in dem sich das Chateau de Sibra befindet, vervollständigt.
Wir können einen Aufenthalt im Chateau de Sibra sehr empfehlen und wünschen der Gastgeberin
viel Erfolg für dieses Projekt.

Brigitte Schumacher sagt:

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